Während meines Studiums in den 1980er engagierte ich mich vielerorts, unter anderem für die schwul-lesbische Bewegung. Es war für mich eine Selbstverständlichkeit, mich für die Gleichstellung homosexueller Liebe einzusetzen, auch wenn ich selbst heterosexuell veranlagt bin. Einmal bat mich ein Kommilitone explizit darum, für sein Recht auf die Straße zu gehen. Ich zögerte keinen Moment, denn es war und ist eine meiner wichtigsten Grundüberzeugungen, dass jeder Mensch ein Recht auf ein freies, selbstbestimmtes und glückliches Beziehungsleben hat.

Als ich den jungen Mann ein paar Tage später fragte, ob er mich auf eine Kundgebung zum Thema Recht auf Abtreibung begleiten würde, sah er mich mit großen Augen an und erklärte: Das würde er niemals tun, denn er sei „Pro-life“! Ich war damals sehr schockiert und sprachlos, da ich davon ausging, dass gerade Männer, die um ihre Akzeptanz in der Gesellschaft kämpfen, Sympathie für Frauen haben müssten, die einer ungewollten Schwangerschaft ein Ende setzen wollen. Und natürlich gibt es auch jede Menge davon, ebenso wie es zahlreiche heterosexuelle Männer gibt, die Verständnis für eine solche Entscheidung aufbringen.

Dennoch, auch wenn mir bewusst ist, dass dies vielleicht ein Einzelfall war, war dies ein sehr einschneidendes Erlebnis für mich. Es zeigte mir: Das Thema Recht auf den eigenen Körper gegen Recht auf embryonales Leben ist eines, bei dem die Ansichten von Männer und Frauen allein aus biologischen Gründen getrennte Wege gehen. Natürlich liegt der Fall noch komplizierter, denn selbstredend haben auch Frauen untereinander ganz unterschiedliche Einstellungen zum Schwangerschaftsabbruch. Doch während ich mit ihnen jederzeit über das Pro und Contra einer Abtreibung diskutieren würde, habe ich in meiner Studienzeit beschlossen, mit Männern darüber nicht mehr zu diskutieren.

Warum auch? Sie tragen nicht die körperliche Last oder Gefahr und müssen nicht mit den Diskriminierungen auf dem Arbeitsmarkt klarkommen. Sie haben den Luxus, ganz abstrakt über die Ethik der Tötung eines noch nicht geborenen Lebens zu philosophieren, während es ihnen zumeist völlig egal ist, ob diejenige, die dieses Leben ans Tageslicht befördert, in einem gesundheitlichen, geistigen oder emotionalen Zustand ist, dies auch zu tun. Hauptsache, da wird ein Leben geboren.

 

„Wir haben abgetrieben!“

Soweit zur Theorie. Als ich einige Jahre später selbst vor der schwierigen Entscheidung stand, ein Kind auszutragen oder nicht, habe ich das dann doch mit meinem damaligen Partner besprochen. Entschieden habe und hätte ich allerdings alleine, denn welches Argument aus der Sicht eines Mannes auch immer kommen mag: Letztendlich entsteht das Kind in meinem Körper und ich werde – das zeigte mir mein Umfeld damals – die Last einer falschen Entscheidung alleine tragen müssen.

Damals entschied ich mich – schweren Herzens – gegen das Kind. Der Partner entschied sich parallel dafür, einen Rave zu besuchen, während der Eingriff vorgenommen wurde. Ich habe meine Entscheidung nie bereut, auch nicht, als ich später im Leben sehr lange darauf warten musste, bis sich mein dann doch irgendwann entstandener Kinderwunsch erfüllte. Ich liebe mein Kind, ich liebe meinen Mann und ich bin sehr glücklich, dass es sie beide gibt.

Eigentlich habe ich lange Zeit überhaupt nicht mehr über Abtreibung nachgedacht. Doch neulich schrieb mir ein Mann, den ich sehr schätze, in einem völlig anderen Zusammenhang, er sei kein großer Freund von Abtreibungen, „auch wenn es Situation geben könne, in denen es einfach keine andere Wahl gibt.“ Mir platzte erstaunlicherweise die Hutschnur, als ich das las. Ich erwiderte etwas schroff, es sei äußerst einfach als Mann, kein großer Freund von Abtreibungen zu sein, und erklärte, dass ich (s.o.) das Thema nicht mit Männern diskutieren wolle.

Er bemerkte daraufhin, dass jedes Wesen, ob ausgetragen oder nicht, auch mit der männlichen Energie zu tun habe und Abtreibung daher auch ein Thema für Männer sei. Er riet mir, meine Muster von Abtreibung und Mann zu überdenken. Das tue ich, indem ich mich an diesem Artikel abarbeite.

 

Die Gegner der Freiheit der Frau

Ich bin den Frauen, die für die Legalisierung der Abtreibung gekämpft haben und leider immer noch kämpfen müssen, sehr dankbar. Kaum zu glauben, dass der §218a des Strafgesetzbuchs erst seit den 1970ern den berüchtigten §218 ergänzt, und dass er mitnichten – wie von „Pro-Life“ Aktivisten immer wieder behauptet – Schwangerschaftsabbruch legalisiert, sondern lediglich unter bestimmten Voraussetzung Straffreiheit einräumt.

Noch weniger zu glauben ist es, dass es tatsächlich noch Länder in der EU gibt, die wie Irland einen Schwangerschaftsabbruch völlig verbieten – von anderen Ländern weltweit ganz zu schweigen. Aber die vom Gesetz gebauten Hürden reichen den Gegnern von Schwangerschaftsabbrüchen keineswegs. Da draußen gibt es sogar Menschen (ich will nicht schon wieder „Männer“ sagen), die sich über die derzeitige Rechtssprechung hinwegsetzen wollen, wie das aktuelle Beispiel des Chefarztes einer deutschen Klinik zeigt.

Ich will hier nicht zum hundertsten Male sämtliche Argumente der Gegner der Freiheit der Frau nennen. Sie schreiben und schreien lauthals in und außerhalb des Netzes und können durch eine einfache Google-Suche leicht ausgemacht werden. Die gängigsten werden beispielsweise sehr gut auf der Seite der Schwangerschaftsabbruch-Infostelle der Schweiz zusammengefasst und ausführlich kommentiert. Ich habe mich im Zuge der oben geschilderten Korrespondenz noch einmal ausführlich damit auseinandergesetzt.

Nachdem ich dies getan habe, ist für mich noch klarer als zuvor: Leider geht dieses wichtige Thema in der Öffentlichkeit immer mehr unter, obwohl es in Ländern wie Polen aktuell schon wieder bedroht wird. Einhergehend mit der zunehmenden Verteufelung des Feminismus erhält es sogar immer negativere Presse.

 

Meine Muster hin oder her

Doch es bleibt wie es war: Es sind die Frauen dieser Welt, deren Lebenslauf durch Schwangerschaft wesentlich stärker beeinflusst wird als der der Männer. Solange uns unsere große Gabe, Leben in die Welt zu setzen, in der Gesellschaft kaum Anerkennung, dafür aber viele Probleme bringt, muss es auch alleine Sache der Frauen sein, darüber zu entscheiden, ob und wann sie in ihrem Leben ein Kind bekommen will oder nicht.

Diese Entscheidungsfreiheit ist nicht verhandelbar, und solange irgendeine Frau irgendwo auf der Welt gezwungen wird, ein Kind auszutragen, das sie – aus welchen Gründen auch immer – nicht will, solange muss weitergekämpft werden. Für mich jedenfalls bleibt das Recht auf Abtreibung weiterhin – meine Muster hin oder her – völlig indiskutabel.

 

Bild: JerzyGorecki

 

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Written by Kirsten Buchholzer

Kirsten Buchholzer startete als Übersetzerin und Lektorin in das Autorenleben. Inzwischen schreibt sie für Fachzeitschriften und -verlage Artikel und Bücher über Selbstentfaltung, kreatives Schreiben und den Einfluss der Zeitqualität auf das persönliche und gesellschaftliche Erleben.

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