Gleich reißen sie den Dschungel ab. Sie werden ihn nehmen, den Platz der Hoffnung, den Höllenjahrmarkt, das Dorn im Auge der Ignoranten. Die Geflüchteten, die im Dschungel lebten, sollen nun in ganz Frankreich verteilt werden. Deportiert. Das wollen sie aber nicht, deswegen werden sie bald wiederkommen. Dann gibt es hier keinen Dschungel mehr. Es gibt dann nur noch eine plattgewalzte Mischung aus Müll, Asche und Frust im Dünensand.
Die Manöver der Fliehenden werden immer riskanter. Zwei Menschen sind schon tot. Ein vierzehnjähriger Junge und eine Achtzehnjährige. Ihre Namen kennt keiner, ganz zu schweigen von ihrer Geschichte. Kurz erscheint eine Meldung über das Ende ihres Lebens in den Zeitungen. Dann sind sie weg. Für immer. Sie sind frei. Aber nicht, wie sie es wollten. Sondern eher so, wie es sich die Opposition in England vorstellt.
Der Dschungel soll also das Zeitliche segnen. Was kann das nur bedeuten? Die Menschen werden nicht dort bleiben, wo man sie hingebracht hat. Sie wollen nach England, Frankreich war nie ihr Ziel. Um jeden Preis werden sie es versuchen. Das geht aber nur von Calais aus oder von Dünkirchen. Also wird nichts das Zeitliche segnen. Die Aktion wird einfach nur einen weiteren Keil zwischen die beiden Parteien treiben.
Die Geflüchteten haben viel Hilfe und Zuspruch bekommen. Menschen aus der ganzen Welt sind gekommen, um zu helfen oder zu berichten, Vereine wie der FC Köln haben den Jungs im Dschungel Trikots gespendet und damit ein Zeichen gesetzt. Es kamen aber auch welche, um zu hetzen und zu schlagen. Sie waren nicht im Camp. Ihr Hass, worauf auch immer, lässt dies nicht zu. Wenn sie einmal im Camp gewesen wären, dann hätten sie vielleicht den siebzehnjährigen Eritreer Muntassar kennengelernt. Vielleicht hätte er ihnen erzählt, was man ihm auf seiner Reise in Libyen angetan hat. Muntassar ist taub-stumm. Er hat nur eine Lage Kleidung, weil andere Flüchtlinge ihm immer seine Sachen wegnehmen. Wie blind muss man sein, in einem so wehrlosen Menschen eine Gefahr zu erkennen?
Gott aber ist nicht blind. Gott sieht alles. Er hat Sebastian jedesmal gesehen, wenn er beim Helfen zusammengebrochen ist.
Gott hört auch alles. So hat er auch gehört, wie Andreas für die Menschen im Camp auf dem Klavier gespielt hat.
Jedesmal wenn jemand dort Angst, Adrenalin oder Schmerzen gespürt hat, dann hat Gott dies auch gespürt.
Nichts ist umsonst. Jeder bekommt seine Quittung für sein Tun. Für Hass ist jetzt keine Zeit.
England hat versprochen, die minderjährigen Flüchtlinge aufzunehmen. Und die, die nicht nach England dürfen, weil sie zu alt für das Fliehen sind, sitzen noch immer im Camp. Ich sitze auch, aber hier an meinem Küchenfenster und versuche mich damit abzufinden, dass sie den Dschungel vernichten werden. Die Bulldozer und die Beamten der CRS stehen bereit. Die Punker auch. Heute gibt es nur noch schwarz oder weiß.
Eigentlich würde ich jetzt gerne meine Augen schließen. Wegsehen. Das gleich werden sehr hässliche Szenen. Aber ich kann das nicht. Also muss ich damit leben. Deswegen weiß ich, dass wir versagt haben.
Egal, was wir tun, es wird diese Menschen immer geben. Wie jene, die all ihre Kraft dazu einsetzen, sich ihnen entgegenzuwerfen. Wir haben versagt. Das heißt aber nicht, dass wir aufhören werden, etwas zu tun. Gott möge uns allen vergeben.
Bilder: Hammed Khamis