Der erste Teil unserer Serie „7 Jahre – 7 Tage” zum 7. Jahrestag der ägyptischen Revolution – Erstveröffentlichung am 30.01.2011.
Ein Gespenst geht um in Ägypten – das Gespenst des Hosni Mubarak. Der greise Pharao ist längst angezählt, doch noch wehrt er sich gegen das Unvermeidliche. Der Widerstand im Land hat sein Konterfei schon vor Tagen von den Straßenrändern auf seine Pappschilder verbannt. Fette rote Striche durchkreuzen nun sein Lächeln wie seine Pläne: das Land am Nil um jeden Preis in der Familie zu halten. „Wer zu spät kommt, den bestraft das Leben,“ möchte man ihm beinahe mitleidig ins Ohr flüstern. Wären da nicht die Toten und die Ängstlichen, die allein der Starrsinn des Präsidenten auf dem Gewissen hat und die jedes Mitgefühl verbieten.
Wie ein Fluch liegt Mubaraks Weigerung, die Zügel aus der Hand zu lassen, über der allerorts spürbaren Aufbruchsstimmung. Als am historischen Freitagabend nach zahlreichen Schlachten mit wütenden Demonstranten die Polizei von den Straßen des Landes verschwand, errang das Volk sein viel beachtetes 1:0. Sein 2:0, zählt man die Demonstrationen selbst hinzu, die sich trotz Vernichtung aller digitaler Kommunikationswege durch das Regime ihren Weg in die Zentren der Städte und die Herzen der Bevölkerung bahnten. Als schließlich die Armee aufzog, befürchteten viele westliche Beobachter eine Eskalation. Doch die winkenden Demonstranten verrieten: Hier bezog höchstens eine Drohgebärde, kein echter Feind seine Stellung.
Tunis als Vorbild hat ausgedient; die Schnelligkeit der Ereignisse spricht längst für eine Vorbildfunktion der ägyptischen Bewegung. Auch die Furcht vor iranischen Verhältnissen scheint unbegründet – zu viel Zeit hatte der Hass auf den Potentaten, sich in 30 Jahren unter der Oberfläche von Notstandsgesetzen und albernen Scheinwahlen in den Herzen der breiten Masse festzusetzen. Wollte man unbedingt vergleichen, um zu verstehen, so böte sich eher der Putsch des Generals Gamal Abdel Nasser gegen den Herrscher von Britanniens Gnaden, König Faruk, an: Ähnlich muss es sich angefühlt haben im ganzen Land, als man am 23. Juli 1952 daran ging, die erste ägyptische Republik zu installieren.
So beliebt Staatsgründer Nasser noch immer in der Bevölkerung ist: Seine Partei hat sichtbar abgewirtschaftet. Wenn NDP-Sprecher am Wochenende der Kritik an Mubaraks Regierungsdauer mit dem Verweis auf 11 Jahre Margaret Thatcher begegnen, klingt hier neben der üblichen Parteirhetorik schon so etwas wie Verzweiflung an. Noch geben die meisten westlichen Staaten dem Ringen des Präsidenten um seine Macht durchaus recht: Keine Regierung hat abseits kritischer Ermahnungen den Mut aufgebracht, sich offen auf die Seite der ägyptischen Bevölkerung zu stellen. Die Ernennung Suleimans zum ersten Vizepräsidenten Ägyptens seit 30 Jahren ist nicht nur ein erstes Eingeständnis von Verwundbarkeit, sondern zugleich ein Signal Mubaraks an die USA und Israel: Ägypten bleibt an Eurer Seite, was immer geschieht. Dass ein solches Signal seine eigene politische Halbwertszeit nicht unbedingt verlängern wird, kann als weiterer Beweis für das fundamentale Unverständnis Mubaraks für die gegenwärtige Situation verstanden werden.
Altägyptische Pharaonen feierten in ihrem 30. Regierungsjahr übrigens das so genannte Sedfest. Es sollte dazu dienen, ihre Kraft durch eine rituelle Wiedergeburt zu erneuern. Mubarak wird diese Gelegenheit wohl nicht bekommen.
Bild: monasosh
Alle Teile der Serie „Requiem auf eine Revolution“:
Teil 1 | Kein Fest für den Pharao
Teil 2 | Der ferne Westen
Teil 3 | Ein Kilo Kebap
Teil 4 | Revolutionsdefizit
Teil 5 | Kein Grund zu feiern
Teil 6 | Die Verlagerung der Ohnmacht
Teil 7 | Die Rückkehr des Pharao