Der vierte Teil unserer Serie „7 Jahre – 7 Tage” zum 7. Jahrestag der ägyptischen Revolution – Erstveröffentlichung am 18.04.2011.
Während Revolutionen die Absicht verfolgen, Althergebrachtes möglichst weit hinter sich zu lassen, bringen sie nicht selten neue Zusammenhänge ans Licht, mit denen zunächst niemand gerechnet hätte. Bedenken wir die Denkmälerdichte Ägyptens, verwundert es kaum, dass eine dieser neuen Allianzen den Namen „Kunst und Gewalt“ trägt. Denn nirgends anders als im hochehrwürdigen Nationalmuseum fanden in den letzten Wochen jene Folterungen statt, die jetzt die Gemüter der jungen Revolutionäre erhitzen.
Der Slogan „Armee und Volk – Hand in Hand“, der nicht unmaßgeblich zum Gelingen der Ereignisse vom 25. Januar bzw. 11. Februar beitrug, hat spätestens seit dem „Friday of Purification“ (1. April) einen schalen Beigeschmack: An diesem Tag wurde offenkundig, dass auch die Armee nicht über den Gewaltmissbrauch und die Korruption der Mubarak-Ära erhaben ist. Zu tief sitzt scheinbar die Gewohnheit, das „kollektive Interesse“ – in diesem Fall die Stabilität – über die Rechte von Individuen zu stellen. Unter dem Vorwand, chaotische Zustände schon im Keim ersticken zu wollen, griffen die selbsternannten Hüter der Revolution ausgerechnet jede Demonstranten an, die sich unter dem Schlagwort „Rettet die Revolution“ versammelt hatten und fassungslos zusehen mussten, wie ihr Traum von einem besseren Ägypten gemeinsam mit ihren Unterkünften und Lazaretten vom Pflaster des Tahrir-Platzes gespült wurde. Die niederschmetternde Bilanz der schaurigen Reinigung: ein Toter und 71 Verletzte.
Ein weiterer besorgniserregender Fall ist die Verurteilung des ersten Kriegsdienstverweigerers Ägyptens, Maikel Nabil Sanad. Dem 26jährigen wurde im Urteil des Militärtribunals vom 10. April vorgeworfen, auf seinem Blog und auf Facebook das Militär beleidigt zu haben, was ihm nun eine dreijährige Haftstrafe einbrachte. Das erste Opfer der neuen Zensurpolitik führte mit seiner Verhaftung vor, wie weit es mit der Wahrung der Menschenrechte im revolutionären Ägypten her ist, und erfüllte auf beunruhigende Weise sein eigenes Omen: „Wir sind den Diktator losgeworden – aber nicht die Diktatur.“
Noch ist freilich nichts verloren. Vielleicht war die nun für alle sichtbare Entzauberung des Militärs sogar das notwendige Fanal, das angesichts der um sich greifenden Naivität notwendig geworden war, um nicht erneut in die Falle „stabilisierender Zustände“ zu geraten. Die Lage ist, wie nicht anders zu vermuten, denkbar unübersichtlich. Vom Zorn der Jugendgruppen (wie der Gruppe des 6. April mit ihren über 150.000 Mitgliedern), der Menschenrechtsorganisationen und der oppositionellen Kräfte überrascht, bemüht sich der Oberste Militärrat seither jedenfalls um Schadensbegrenzung.
Ohne sich für die Folterungen und Vergehen der letzen Wochen zu entschuldigen, griff die Armee zu der einfachsten Methode, das Vertrauen des zweifelnden Volks wiederzugewinnen: Bestrafung der gemeinsamen Feinde. Nach der Verhaftung der Mubarak-Familie am 13. April verlor nun auch der frisch wiederbestellte Antikenminister Zahi Hawass Amt und Würden – und seine Freiheit. Nach neun Jahren Alleinherrschaft über die archäologischen Schätze des Landes wurde er nun zu einem Jahr Haft und Zwangsarbeit verurteilt – offiziell wegen eines Rechtsstreits mit dem ehemaligen Buchhändler des Museums, Farid Attija, inoffiziell sicher nicht zuletzt aufgrund seiner Nähe zu dem gestürzten Präsidenten-Clan.
Die Armee, so ein Informant aus dem Umfeld des Obersten Militärrats, stehe seit Beginn der Unruhen auf Seiten der Revolution. Sie und die Demonstranten hätten schlicht zwei unterschiedliche Geschwindigkeiten, was die Umsetzung der gleichen Ziele betreffe. Feinde der Umstürze – aus dem In- wie aus dem Ausland – versuchten nun, einen Keil zwischen das Volk und die Interimsregierung zu treiben, so Galal Nassar in der Zeitung „Al-Ahram“. Es mag sein, dass sich die Gegner der Revolution die Hände reiben, seit das Versagen der ägyptischen Militärregierung immer offener zutage tritt. Wer jedoch die politische Verantwortung für Menschenrechtsverletzungen den Publizisten anlastet, die sie verbreiten oder interpreteren, verfügt selbst über ein gewaltiges Revolutionsdefizit.
„Töte nicht den Boten!“ forderte schon der alte Tragödiendichter Sophokles. Und der muss es schließlich wissen: Sein Schaffen fiel exakt in jenen schmalen Streifen der Geschichte, der als „attische Demokratie“ ein so reiches Nachleben entfalten sollte: vom Athen des 5. über das Paris des 18. bis hin zum Kairo des 21. Jahrhunderts.
Bild: Nicolas Flessa
Alle Teile der Serie „Requiem auf eine Revolution“:
Teil 1 | Kein Fest für den Pharao
Teil 2 | Der ferne Westen
Teil 3 | Ein Kilo Kebap
Teil 4 | Revolutionsdefizit
Teil 5 | Kein Grund zu feiern
Teil 6 | Die Verlagerung der Ohnmacht
Teil 7 | Die Rückkehr des Pharao