Der dritte Teil unserer Serie „7 Jahre – 7 Tage” zum 7. Jahrestag der ägyptischen Revolution – Erstveröffentlichung am 23.03.2011.

 

Alexandria. – Mit 77,2% zu 22,8% haben sich die Ägypter bei ihren ersten freien Wahlen klar zu den geplanten Verfassungsänderungen bekannt. An der demokratischen Legitimität dieses Ergebnisses bestehen jedoch Zweifel: Gerade mal 41% der wahlberechtigten Ägypter (18 Mio.) nutzen die Gelegenheit, ihre politische Meinung kundzutun. Und: Nicht die Revolutionäre haben sich durchgesetzt – sondern die restaurativen Kräfte.

Zweifelhaft ist dieses Ergebnis natürlich nicht aufgrund der Wahlbeteiligung. Im Vergleich zu anderen ersten freien Wahlen (die Volkskammerwahl in der DDR 1990 lockte immerhin 93% der Wahlberechtigten in die Kabinen) sind die 18 Millionen Stimmen natürlich eine Enttäuschung; im Vergleich zur ägyptischen Parlamentswahl im vergangenen November bedeuten sie jedoch auch eine Steigerung um satte 150%. Zweifelhaft ist, dass viele Geistliche die traditionelle Freitagspredigt dazu nutzten, folgenden einfachen, aber wirkungsvollen Wahltipp auszugeben: „Ja ist für Allah!“ Wer hingegen für Nein, also für den langsamen, aber gründlicheren Übergang zur Demokratie stimmen wolle, schließe sich damit den Christen und den Ungläubigen an. Dass diese religiöse Interpretation einer eigentlich politischen Abstimmung nicht an den Haaren herbeigezogen ist, konnte der gläubige Wähler auch der graphischen Gestaltung des Stimmzettels entnehmen: (islamisch)-grün stand hier für Ja, (bedrohlich-)schwarz für Nein. Zweifelhaft ist, dass in vielen Schlangen vor den Wahllokalen völliges Unwissen über den eigentlichen Gegenstand der Wahl herrschte. Gefragt, was sie wählen würden, erklärten nicht wenige, man wolle sich mit dem Ja gegen eine Übernahme unislamischer Werte in die Verfassung wehren.

Zurecht empören sich viele junge Gebildete daher über den Ausgang der Wahl, versprachen aber zugleich, nicht gegen eine demokratische Entscheidung aufzubegehren. Sie protestieren auch nicht gegen den Inhalt der Verfassungsänderungen, welche in erster Linie eine Beschneidung der Macht des Präsidenten vorsehen: Beschränkung auf zwei Amtszeiten (zu je 4 Jahren), Verpflichtung zur Ernennung eines Stellvertreters, Beschränkung der präsidial zu verhängenden Notstandsgesetze auf 7 Monate (für eine Verlängerung wird in Zukunft ein Plebiszit vonnöten sein). Die Sorge der jungen Revolutionäre betrifft vor allem folgenden Artikel des nun vom Volk beschlossenen Procedere: Nach der ersten freien Abgeordnetenwahl, die wohl noch vor oder spätestens im Juni stattfinden wird, ernennt das neue Parlament 100 Räte, die die kommende Verfassung ausarbeiten werden. Angesichts der Kürze der Zeit fürchten viele, dass aus den Wahlen vor allem die Muslimbrüder und die ehemals regierenden Nationaldemokraten als Sieger hervorgehen werden. Die demokratischen Parteien haben schlicht zu wenig Zeit, sich zu organisieren und mit dem Wahlkampf zu beginnen, so die Verfechter des Nein.

Viele Ägypter stimmten wohl nur für „Ja“, um endlich wieder Ruhe im Land zu haben. Das scheint auch der Grund zu sein, warum es die Armee den Muslimbrüdern so einfach gemacht hat, sich bei diesen ersten freien Wahlen so sichtbar zu engagieren: Die militärische Präsenz auf der Straße kann erst durch die Ernennung eines neuen Präsidenten beendet werden; erst dann kann ein neuer Polizeiapparat aufgebaut werden und die exekutive Macht wieder vollständig in zivile Hände übergeben werden, wonach sich in erster Linie das Militär zu sehnen scheint.

Nicht nur die jungen Männer und Frauen, die ihr Leben im Kampf gegen die regierungstreuen Sicherheitsbeamten riskierten, zeigen sich enttäuscht und kampfbereit zugleich. Auch ältere Intellektuelle, unter ihnen Journalisten, die schon seit der Regierungszeit Sadats einem generellen Schreibverbot in den Regierungsmedien unterlagen, melden sich nun besorgt zu Wort. „Sie sind zum Mond geflogen, um nach einem Kilo Kebap zu fragen,“ schrieb Mohamed Heikal, der ehemalige Herausgeber der Tageszeitung „Al-Ahram“, im Hinblick auf die Revolution und das anschließende Wahlergebnis. Es bleibt zu hoffen, dass dieses Kilo nicht reichen wird, den ägyptischen Hunger nach Gerechtigkeit und einer besseren Gesellschaft zu stillen.

 

Bild: Nicolas Flessa

 

Alle Teile der Serie „Requiem auf eine Revolution“:

Teil 1  |  Kein Fest für den Pharao
Teil 2  |  Der ferne Westen
Teil 3  |  Ein Kilo Kebap
Teil 4  |  Revolutionsdefizit
Teil 5  |  Kein Grund zu feiern
Teil 6  |  Die Verlagerung der Ohnmacht
Teil 7  |  Die Rückkehr des Pharao

Written by Nicolas Flessa

Nicolas Flessa studierte Ägyptologe und Religionswissenschaft. Der Chefredakteur von seinsart drehte Spiel- und Dokumentarfilme und arbeitet heute als freischaffender Autor und Journalist in Berlin.

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