Das Parkhotel in Polykastro ist das Herz der freiwilligen Helfer und Volunteers aus aller Welt, die hierher kommen, um in Idomeni zu helfen. Freiwillige aus Polen, Tschechien, Deutschland, der Schweiz, Frankreich, Belgien, Großbritannien, Spanien und sogar aus den USA. Keiner, der nach Idomeni reist, bekommt nicht die Info, so bald wie möglich das Parkhotel aufzusuchen, um dort Leute zu treffen, mit Teams in Kontakt zu kommen oder zu erfahren, welches Team gerade am dringendsten Helfer benötigt.

Als ich selbst im Parkhotel ankomme, bin ich überwältigt von der „Uni Asta Atmosphäre“. In der Info-Ecke sind Plane von den Camps ausgehängt, um sich vor Ort orientieren zu können; daneben Pläne, wann sich die Essen-Teams im Parkhotel treffen, um anschließend im Camp das Essen auszuteilen; nicht zu vergessen all die Telefonnummern von Menschen, die es sich zur Hauptaufgabe gemacht haben, hier vor Ort Hilfe zu koordinieren.

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Es wäre naiv zu denken, dass freiwillige Hilfe auch ohne Koordination, Planung und Organisation verlaufen könnte. Und schon entsteht aus der Freiwilligkeit ein System, das sich selbst organisiert. Deshalb spricht man hier auch von Freiwilligen-Teams. Dabei ist es nicht wichtig, ob sie Essen bereitstellen, kochen, Englisch unterrichten, mit den Kindern spielen oder Bananen verteilen. Denn auch innerhalb dieser Teams müssen finanzielle Ressourcen und ausreichend Helfer/innen gegeben sein, um die Arbeit im Camp durchzuführen.

Schon der erste Eindruck hat mich sehr überwältigt. Freiwillige aus aller Welt, die jeden Tag aufs Neue in die Strukturen und den Verlauf der Arbeit vor Ort eingewiesen werden. Denn viele der Freiwilligen sind nur für einige Tage dort – und andere für ein paar Monate. Die Fluktuation der Freiwilligen ist beinahe unüberschaubar. Doch über den ersten Eindruck legt sich ein Fragennebel, der mich bis heute begleitet. Ist das noch als „Ehrenamtstätigkeit“ zu beschreiben? Engagieren sich Freiwillige hier sozial?

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Aus der Presse wusste ich bereits vor meiner Ankunft, dass Ärzte ohne Grenzen und andere NGOs das Camp als Protest gegen das Europäisch-Türkische Rückführungsabkommen verlassen haben. Gegen wen sich dieser Protest am Ende richtet, habe ich bis heute nicht verstanden. Deshalb frage ich mich, als ich durch das Camp laufe, immer wieder, wie so was möglich sein kann. Wie können 1.100 Menschen von einer Handvoll Freiwilliger „versorgt“ werden? Dabei tun sie viel mehr als Essen auszugeben. Aber was tun sie? Sie arbeiten. Ich komme zu dem Schluss, dass sich all die Freiwilligen in Idomeni oder in anderen Camps nicht einfach engagieren – sondern arbeiten.

Geht man nach dem Gabler-Lexikon, ist Arbeit zielgerichtet, sozial, planmäßig und bewusst, eine körperliche und geistige Tätigkeit. Zielgerichtet ist die Arbeit der Volunteers deshalb, weil sie das Ziel verfolgen, die Menschen in Idomeni dabei zu unterstützen, unter menschenwürdigen Bedingungen zu überleben. Hierfür müssen sie ihre Arbeit planmäßig organisieren. Die Entscheidung gegen ein bestehendes System, das menschenunwürdig mit Flüchtlingen umgeht, ist eine bewusste Entscheidung, die nicht aus der Not der Freiwilligen selbst entsteht. Auch die Definition nach körperlicher und geistiger Arbeit trifft auf alle zu; sie bringen ihren Körper Tag für Tag als Arbeitsmittel ein und kommen nicht selten auch geistig an ihre Grenzen.

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Leider gibt es keine Hilfe zur Aufarbeitung für das, was vor Ort erlebt wird. Eine Art Supervision, die den Freiwilligen ihr Erlebtes zu verarbeiten helfen würde. Es darf nicht zur Gewohnheit werden, dass sich NGOs oder andere Organisationen aus humanitären Krisensituationen zurückziehen, und die Arbeit den Freiwilligen überlassen und somit eine Parallelstruktur zu Nichtregierungsorganisationen entstehen. Volunteers oder Freiwillige können und dürfen nicht die Arbeit von dafür ausgebildeten Professionellen übernehmen und Nischenfüller für ein soziales Desaster sein.

Ohne die Volunteers und die Freiwilligen Organisationen und Teams würden Menschen in Idomeni und anderen nicht offiziellen Cams verhungern, verdursten und unter mangelnder ärztlicher Versorgung sterben. Dabei dürfen wir nicht vergessen, dass wir über Europa sprechen – und über Menschen, die nach der UN-Menschenrechtskonvention als Kriegsflüchtlinge das Recht haben, aus ihren Ländern, in denen Krieg herrscht, zu fliehen. Auch wenn die Arbeit aller vor Ort tätigen Freiwilligen eine für uns bemerkenswerte Heldentat darstellt, arbeiten sie von morgens bis spät abends unter katastrophalsten Bedingungen dafür, dass Menschen überleben.

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Ist das Europa, sind das unsere Menschenrechte, schützen wir so Kinder und ihr Recht auf Leben? Wir müssen damit aufhören, die Freiwilligen in Idomeni, in Cesme und anderswo als Held/innen zu feiern, und endlich damit anfangen, ein politisches Statement zu setzen. Wir müssen die Politik auffordern, lösungsorientiert und nicht mittelfristig zu handeln. Sollte sich die Androhung, Idomeni werde am Sonntag den 1. Mai durch die NATO geräumt, bewahrheiten, dann steht Europa vor einer Katastrophe, für die es sich irgendwann verantworten muss.

 

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Bilder: Elif Kahnert

Written by Elif Kahnert

Elif Kahnert ist studierte Erwachsenenbildnerin und systemischer Coach. Als Lehrbeauftragte hält und organisiert sie Seminare zur türkischen Frauenbewegung und bloggt unter anderem über Flüchtlingspolitik.

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