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Irgendwie ging das Auto kaputt. Und dann wollte mir der Typ von Western Union die Überweisung für den Reis, den ich in Calais an die Flüchtlinge verteilen sollte, nicht rausgeben, weil mein Name falsch geschrieben war. Diese Fahrt schien wie verflucht. Und nun hatte auch noch die Sängerin, die mich mit ihrem Auto mitnehmen wollte, seit drei Stunden ihr Handy aus.

Ich stand vor der Wohnung meines Freundes in Essen und war kurz vorm Kotzen. Wenn die nicht in der nächsten Stunde hier eintrudelt, dann fahr ich mit dem Zug los.

Alle meine Freunde haben mich gefragt, was ich dort in diesem Camp in Calais eigentlich will. Die Medien haben doch schon darüber berichtet. Für manche ist das eine berechtigte Frage; für mich aber ist das unglaublich dumm. Jeder Autor hat seinen eigenen Weg, etwas darzustellen. Warum soll ich das nicht auch tun? Außerdem kann ich mein Wort nicht brechen. Ich habe gesagt, dass ich da hinfahren werde, also fahre ich auch da hin.

Mein Handy klingelt und die Sängerin ist dran. 
In gebrochenem Deutsch sagt sie mir, dass sie am Bahnhof in Essen ist. Schnell eile ich dorthin, um keine Zeit zu verlieren. 
Drei Stunden fahren wir auf der Autobahn Richtung Westen und es passiert irgendwie nichts. Noch 40 Kilometer bis Calais. Dann sehe ich ganz hinten am Horizont eine Gruppe von fünf Menschen auf der Autobahn laufen. Das müssen die ersten Flüchtlinge sein. Es geht los.

Auf einer Raststätte bestätigt sich mein Gedanke. Ich steige kurz aus, grüße die Jungs und mache ein paar Fotos. Die Sängerin und ich haben noch kein Hotel. Wir verabschieden uns, um noch bei Licht anzukommen, und versprechen uns wiederzusehen.

Das mit dem Licht hat schon mal nicht geklappt. Also schlafen wir jetzt im Auto, auf einem Parkplatz direkt am Meer. Bevor ich mich hinlege, gehe ich noch einmal ans Wasser, um in mich zu gehen. Calais ist wunderschön. Es wirkt sehr friedlich. Hier sieht es nicht wilder aus als in Stuttgart. Alles schön ordentlich geschnitten und kein Müll auf der Straße.

Die Meeresluft tut mir gut. Was auch immer morgen losgehen wird, ich bin bereit. Eins aber ist mir klar. 
Planen kann man hier nicht.
 Es kommt ja doch immer anders.

Das mit den Flüchtlingen habe ich mir anders vorgestellt. Hotel, Strand und Kostenübernahme und so. (Sängerin)

Am nächsten Morgen in einem Restaurant offenbart mir meine Begleiterin beim Frühstück, dass sie sich das Ganze ein wenig anders vorgestellt habe. Hotel, Strand, Kostenübernahme und so. Sie will diskutieren.
 Auf so eine Scheiße habe ich jetzt kein Bock. Also nehme ich meinen Koffer und meinen Rucksack aus ihrem Auto und verabschiede mich, während ich in Richtung Westen auf die Landstraße zugehe.

Zum Glück habe ich das Benzin hierher bezahlt, denke ich noch kurz. Aber egal. Keine Diskussionen. Ich darf mein Ziel nicht aus den Augen verlieren.
 A propos Ziel: Wo bin ich hier eigentlich? 
Erst erstmal loslaufen. Und bloß nicht nach hinten gucken.

Auf der Landstraße laufen alle 300 bis 400 Meter kleine Gruppen von Flüchtlingen in Richtung eines großen Parkplatzes. Ich schließe mich an. Mal sehen, was ich dort in Erfahrung bringen kann.
 Auf dem Parkplatz neben der Autobahn lerne ich eine Gruppe Sudanesen kennen. Sudanesen sprechen immer Arabisch; und sie sind immer sehr freundlich. Einer der Flüchtlinge ist so müde, dass er sich auf den bloßen Teer zum Schlafen gelegt hat.

Ich spreche einen dünnen Mann in einem Filzmantel an, der mir entgegenlacht. Sein Name ist Anwar Ali. Er ist wie fast alle hier auf dem Parkplatz aus dem Sudan. 
Anwar erklärt mir, dass er heute in der Dämmerung versuchen wird, über die Autobahn und die Zäune zum Tunnel durchzustoßen. Dort will er dann auf einen Zug springen.
 Das kann ich mir irgendwie nicht bildlich vorstellen. Also bitte ich Anwar, mich dorthin zu bringen und mir zu zeigen, wie er das anstellen will. 
Anwar schaut auf meinen Koffer und lacht. Er fragt, ob ich das alles mitnehmen will. Jetzt erst wird mir klar, dass Anwar mich für einen Flüchtling hält. Während wir meinen Koffer in einem naheliegenden Gebüsch verstecken, erkläre ich Anwar, dass ich deutscher Staatsbürger bin und meine Fluchtphase glücklicherweise vor meiner Geburt durch meine Eltern erledigt wurde.

Ich habe meine Kinder verheiratet und sie nach Deutschland gebracht. Ich schulde ihnen nichts mehr.  (Abu Jamal)

Nach gefühlten drei Kilometern über mehrere Autobahnen und Weideflächen hinweg erreiche ich mit Anwar einen Kontrollposten in der Nähe des Tunnels. Der Polizeibeamte erklärt mir, dass ich weiter kann, mein Begleiter aber zurückgehen muss. Es gäbe hier eine Zone um den Tunnel herum, wo sich Flüchtlinge  nicht aufhalten dürfen.
 Der Beamte erklärt mir aber auch, dass die Flüchtlinge nicht versuchen, in den Tunnel zu rennen, sondern eher auf einen der Güterzüge springen, um in der Sicherheit der Nacht ins ferne England zu gelangen.

Ein Sudanese hat es geschafft, zu Fuß in den Tunnel zu gelangen. Er war schlau. Nein, er ist schlau. Denn er lebt noch. Er hat die ganzen 50 Kilometer zu Fuß hinter sich gebracht und ist am Ende in Großbritannien verhaftet worden. Der sitzt jetzt ein. Aber abschieben können sie ihn nicht. In seinem Land herrscht Krieg.

Als der Beamte sieht, dass ich lächle, lässt er seine strenge Miene sein und holt eine Schachtel Zigaretten aus der Hemdtasche. Er bietet mir sogar eine an. Bevor ich meine Kamera zücken kann, stürmt ein Kollege aus dem Polizeibus, der etwa zwanzig Meter von uns entfernt steht. 
Dieser Beamte ist nicht so freundlich wie der erste. Mit den Worten „Go away, go away!“ markiert er mal eben den Sheriff. Zu Hause bei seiner Frau würde er sich so einen Ton wohl nicht erlauben dürfen.

Ich konnte solche Typen noch nie leiden. Deswegen kann ich mir nicht verkneifen, ihm zum Abschied noch einen Spruch mit auf den Weg zu geben. 
Ich frage ihn, ob er der Beamte sei, der die Flüchtlinge immer mit der Einliterflasche Gas besprüht. Ich habe das im Fernsehen gesehen und sei mir ziemlich sicher, dass er es sei. Jetzt gucken mich beide Polizisten ziemlich böse an. Ich habe zwar noch keinen Schlafplatz, aber in einer Zelle will ich hier nicht anfangen. Also halte ich die Klappe und drehe mich um, um wegzugehen.

Anwar hat zwar kein Wort verstanden, aber er lacht mich an und schaut dabei auf meine Zigarette. 
Die rauchen wir jetzt auf dem Rückweg zusammen. Auf dem Weg zu meinem Koffer im Gebüsch erzählt mir mein neuer Freund  alle Versionen gescheiterter Einreiseversuche. Von unzähligen Beinbrüchen über den Tod in einer Stromleitung des Zugs bis hin zu einer von einem LKW überfahrenen Frau gibt es hier viele Beispiele, wie Menschen ihr Leben lassen, um an ihr Ziel zu kommen.

Ich versuche Anwar von seinem Vorhaben abzubringen. Aber er bleibt stur. Wenn er es an der Patrouille vorbeischafft, dann wird er springen.

Entweder England oder den Tod. Wir sind doch eh tot, wenn die uns in den Sudan abschieben.  (Anwar Ali)

Ich kenne Anwar nicht. Aber ich denke, dass Anwar ehrlicher ist als die meisten Personen, die ich in der letzten Woche getroffen habe.
 Anwar will sich nicht auf dem Rücken irgendwelcher Menschen profilieren oder ein tolles Foto in Calais machen, wie ich es will. Nein, Anwar will einfach nur frei sein. Und dafür ist er bereit, alles zu riskieren. Ich schenke Anwar ein T-Shirt und verabschiede mich in Richtung Innenstadt.

Das sind jetzt 7 oder 8 Kilometer bis nach Calais. Ich will unbedingt ein Hotel in der Nähe des Zentrums. Da finde ich sicher schnell Anhang. Vielleicht Journalisten mit Auto oder dergleichen.
 Aber bevor ich das finde, finde ich erst etwas anderes.
 Die Gastfreundschaft der Calaiser. Oder besser gesagt, ich finde sie nicht.

Irgendwo in der Stadt scheint ein Straßenfest oder eine Kirmes zu sein. Denn überall laufen Familien mit Kind und Kegel umher. Alle gucken mich an, als wäre ich ein Alien und hätte grüne Hautfarbe. Das gefällt mir nicht. 
Erst als ich das dritte Mal daran scheitere, den Weg ins Zentrum zu erfahren, schwant mir, dass es nicht die Unwissenheit der Einheimischen ist, die meinen Versuch scheitern lässt, sondern Ablehnung und Angst. 
Sie denken, ich sei ein Flüchtling. Unglaublich. 
Aber warum eigentlich nicht. 
Hier läuft ein Kanake mit nem Koffer in der Nähe des Tunnels herum. Was soll ich denn sonst sein, wenn nicht ein Flüchtling?

Aber dagegen werde ich morgen etwas tun, versprochen.

Hammed

P.S. Seit meiner Ankunft am Samstag wurde ich schon dreimal verhaftet und einmal mit Gas besprüht. Ich habe es über viele Zäune geschafft. Es waren auch Flüchtlinge dabei, während dies geschah. Und ich hatte ganz großes Glück mit einem Münchener Kennzeichen irgendwo in der Pampa an der französischen Grenze. Aber mehr dazu beim nächsten Mal.

 

Bild: Hammed Khamis

 

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Written by Hammed Khamis

Hammed Khamis wuchs in einer westdeutschen Gastarbeitersiedlung auf. Der Streetworker und Journalist ("Ansichten eines Banditen") setzt sich besonders für die Integration Jugendlicher mit Migrationshintergrund ein.

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