Seit Tagen hängt schon hängt der schwere Staub in der Luft und hüllt die Städte des Nahen Ostens in eine durstige, sandfarbene Glocke. In Syrien nutzen islamistische Milizen die anhaltenden Sandstürme, um heute Nachmittag die letzte Basis von Assads Armee in der Provinz Idlib zu erobern. Der Vormarsch der Assad-Gegner scheint ungebrochen, seit die Truppen des konkurrierenden „Islamischen Staates“ vor ein paar Tagen mit der Vernichtung von Palmyra ihren jüngsten Propaganda-Coup erreichten.
Etwa zeitgleich mit dem Fall des syrischen Militärflughafens versammeln sich ein paar hundert Kilometer weiter südlich Tausende junger Menschen zu einer Großdemonstration gegen die Staatsmacht von Syriens Nachbarland. Ihr Ziel: der Sturz der Regierung, ein Ende der anhaltenden Korruption und eine grundlegende Reform der ältesten arabischen Demokratie.
„Räuber der Macht, Du Dieb!“: Sprechchöre an den Umweltminister.
Etwa 5000 junge Libanesen sind trotz widriger Wetterbedingungen zu der lange angekündigten Demo gekommen. Im Gegensatz zu den vergangenen Großdemonstrationen sind es heute vor allem junge Leute, Gebildete und Künstler, die sich auf dem Place des Martyrs versammelt haben. Darunter auch viele prominente Gesichter wie der Schauspieler Rafic Ali Ahmad (oberes Bild, ganz links), der sich auch in Talkshows und Theaterstücken für den Erfolg einer libanesische Revolution stark macht, sowie der bedeutende Drehbuchautor und Regisseur Ghassan Salhab (unteres Bild, ebenfalls links).
Gegen halt sieben setzt sich der Zug in Bewegung Richtung Umweltministerium, wo seit dem 2. September neun Menschen in Zelten in den Hungerstreik gegen die Vermüllung ihrer Stadt und ihrer Gesellschaft getreten sind. Von Arbeitern, aber auch von religiösen Parteien ist heute nichts zu sehen. Die nationale Flagge des Libanon ist neben Bannern und Transparenten die einzig sichtbare Protestwaffe für eine bessere Zukunft im Zedernstaat.
seinsart-Redakteur Yussuf Samra ist für uns vor Ort dabei und teilt mit uns die schönsten Impressionen dieses außergewöhnlichen Moments.
Um halb acht deutscher Zeit ist es bereits dunkel; hier ein kurzer Mitschnitt vom Live-Konzert vor dem Ministerium im Azarieh-Gebäude, das von zahlreichen Künstlern unterstützt wird.
20:00: Yussuf führt zwei kurze Interviews vor Ort. Ein Umweltaktivist verrät ihm: „Wir brauchen einen libanesischen Joschka Fischer. In Deutschland sind die Grünen schon an die Macht gekommen – hier gibt es sie nicht einmal!“ Er fährt fort: „Wir brauchen Aktionen, die erschüttern, so dass unsere Politiker Angst bekommen.“
Wir brauchen einen libanesischen Joschka Fischer!
Ein Historiker mischt sich ein: „Was wir brauchen, ist ein neues Wahlgesetz. Aber nicht für den Präsidenten!“ Der maronitische Christ ergänzt: „Ein Präsident stielt uns maximal 6 Jahre Fortschritt, der Ministerpräsident aber und der Parlamentspräsident können uns 20 Jahre Entwicklung kosten!“ Er spielt auf die unterschiedlichen Maximalgrenzen für hohe Ämter im Land an – und auf die Verteilung der Ämter auf die verschiedenen Religionsgemeinschaften.
Heute sind besonders viele junge Menschen gekommen, darunter auch Studenten der internationalen Universitäten der Stadt. Auf diesem wütenden Transparent ist zu lesen: „Willkommen auf Libanons einvernehmlicher Mülldeponie. Unterzeichnet: Der säkulare Club der Amerikanischen Universität von Beirut (AUB).“
Bilder, Töne und Film: (c) Yussuf Samra (seinsart)