Stellen Sie sich ein Land vor, in dem die Menschen tot sind und die Bomben lebendig. Ein Tag nach den Selbstmordanschlägen am Atatürk Flughafen weiß man, dass es sich um drei Selbstmordattentäter handelte und mindesten 36 tot und über 140 Menschen verletzt wurden.

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Stellen Sie sich ein Land vor, in dem die Menschen tot sind und die Bomben leben.

Der Atatürk Flughafen ist nicht nur Istanbuls größter Flughafen, sondern auch der größte in der Türkei. Hier werden täglich über 16.000 Passagiere abgefertigt; er gilt als das Tor zur Türkei. Alle, die regelmäßig oder auch nur einmal am Istanbuler Flughafen waren, wissen, dass hier die Sicherheitskontrollen bereits mit Eintritt in den Flughafen beginnen. Das bedeutet in der Theorie, dass niemand den Flughafen betreten kann, ohne durch die erste Sicherheitskontrolle zu gelangen. Nach der ersten folgt ein weitere, um von hier aus weiter an die Gates zu kommen.

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Sie sind 15 Jahre an der Regierung und fragen sich, wie die in den Flughafen eindringen konnten. Wir werden es als Volk untersuchen. Schäfchen

Im Falle der gestrigen Anschläge fanden die Explosionen an den Gates für internationale Flüge statt. Natürlich kommt einem die Frage in den Sinn, wie Terroristen die Sprengsätze in den Flughafen einschleusen können, und ihrer so sicher sind, dass sie auch Schusswaffen mit in den Flughafen schmuggeln.

Nach den ersten Meldungen gestern Abend twitterten bereits die ersten, dass internationale Medien über die Selbstmordanschläge berichteten, während die türkischen Sender ihr normales Programm weiterlaufen ließen. Auch die neue Facebook-Möglichkeit, sich als „in Sicherheit“ zu markieren, führte sowohl zu Erleichterung bei Verwanden und Freunden, aber auch dazu, dass dem Land der Spiegel vorgehalten wurde.

„Nein, wir sind in diesem Land nicht in Sicherheit,“ twitterten viele Nutzer und auch Facebook kommentierten sie mit „Ich war nicht am Flughafen und lebe noch, aber in Sicherheit sind wir hier schon lange nicht mehr.“ Die Ohnmacht des Kollektives, ohnmächtig vor seiner Regierung, die nach den Anschlägen all jenen wünscht, selbst Opfer von Selbstmordanschlägen zu werden, die gegen die mediale Zensur sind und die Internetsperre nach solchen Anschlägen verurteilen.

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Sind überhaupt nicht in Sicherheit, leben nur zufällig. #IstanbulAttack

Unvorstellbar, dass ein regierungsnaher Journalist solch einen Wunsch in einer Live-Sendung kundtun darf, ohne dafür von dem Moderator der Sendung kritisiert zu werden. Die Türkei und mit ihr vor allem die Jugend ist zu einem Chor geworden, die die Töne nicht hoch anstimmt. Es gibt eine leise Revolution innerhalb des Chores und man hört einzelne Stimmen höher und lauter, doch es ist niemandem geholfen, wenn der Chor ein kollektives Schweigen einstimmt.

Die Resignation vor einer Regierung, die auch heute, einen halben Tag nach den grausamen Ereignissen, im Parlament weiter Gesetzte diskutieren lässt. Was muss noch alles passieren, fragen sich viele Menschen in den sozialen Medien, dass alle geschlossen auf die Straße gehen? Da frage ich mich immer, wer sind alle? Das Land spielt in der zentral gesteuerten „Wir sind die anderen“ Maschinerie doch mit.

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#WirSindTraurig #UnsGeht EsNichtGut #WirWerdenUns NichtDaranGewöhnen

Auch die kurdische Community sieht sich im Osten der Türkei nicht ausreichend gesehen. Deshalb werfen viele Kurden denen, die über die Attentate in Istanbul so bestürzt sind, Scheinheiligkeit vor, weil man den Bürgerkrieg gegen die Kurden im eigenen Land nicht in dem gleichen Maße verurteilt. Diese Konflikte innerhalb der Lager müssen aufhören, um ein Bewusstsein für das große Ganze dahinter zu bekommen.

Die Menschen in der Türkei, die diese Regierung ablehnen, müssen endlich begreifen, dass sie nur dann laut sind, wenn sie gemeinsam singen.

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#SindNichtInSichherheit weil wir weder an die Regierung noch an den Präsidenten glauben.

 

Bilder: BQRA (Titel), Twitter

Written by Elif Kahnert

Elif Kahnert ist studierte Erwachsenenbildnerin und systemischer Coach. Als Lehrbeauftragte hält und organisiert sie Seminare zur türkischen Frauenbewegung und bloggt unter anderem über Flüchtlingspolitik.

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