Noch ein Nachruf auf einen verstorbenen Helden, den fast alle Menschen unisono verehren oder zumindest im Nachhinein zu schätzen lernten? Der am heutigen Tag ebenso lange tot ist wie er in seinem gesamten Leben überhaupt geworden ist – gerade mal 40 Jahre?
Es ist wohl alles gesagt und geschrieben worden über diesen John Lennon, der Millionen inspirierte und zugleich zum Spiegel wie zum Anstoß einer weltweiten Aufbruchsstimmung wurde. Jenen Musiker, dessen Werk auch solche Menschen hören, die im Nachhinein so gar nichts mit der 68er-Bewegung zu tun haben wollen. Jenen Lyriker und Aktivisten, der vom Macho zum Hausmann mutierte und der am Tag seiner Ermordung zu Protokoll gab, er hoffe, er werde noch sehr, sehr lang leben.
Ich werde diesen 40. Todestag also nicht dafür nutzen, noch mehr kluge Worte über einen Mann zu verlieren, der wenig von salbungsvollen Reden, aber umso mehr von der handfesten Kraft des Worts verstanden hat. Stattdessen will ich ihm mit drei kurzen Texten gedenken, die ich ihm – seit ich eines Nachts im Jahr 1995 vor dem Fernseher eingeschlafen war und vor einer Beatles-Doku wieder erwachte – geschrieben habe. Nicht, weil ich der Meinung bin, seinem Talent gerecht zu werden, sondern weil er mich bewegte – wie Millionen andere vor mir.
Episode 1 – 1995:
Als ich vor 25 Jahren, gerade 17 Jahre alt, einen kleinen Kurzgeschichtenband veröffentlichte, befand sich darin auch ein Text mit dem Titel „Hommage an meine Männer“. Gemeint waren drei Männer, die mich in meiner Kindheit und Jugend inspirierten, weil sie „ihre Welt nicht so, wie sie bestand, an sich vorüberziehen ließen, sondern „Besseres, Utopisches“ für sie ersannen. Unter ihnen – John Lennon:
Er gab mir keine Seelentiefe, und auch keine Lehre war von ihm zu lernen. Doch was er mir gab, war reines Gefühl. Gefühl der Freiheit, Gefühl des Künstlers, der gleichzeitig Lasterkönig und stiller Denker sein konnte…
John. Der paßte nun wirklich nicht auf Anhieb ins Konzept. Zum ersten Mal begann mein Umfeld sich wegen einer Leidenschaft von mir zu wundern. Doch ich blieb auch bei ihm. John sang von Sorgen, die ich kannte, von Problemen, die ihm Kopfzerbrechen bereiteten und vor allem von Liebe. Auch das will erst gelernt sein.
Episode 2 – 2010:
Inzwischen Journalist, wurde ich – nun stolze 32 Lenze alt – von einem Berliner Kulturportal damit beauftragt, eine Filmkritik über „Nowhere Boy“ zu schreiben. Gleich nach dem Besuch des Kinos brachte ich, begeistert und bewegt wie nach dem Treffen mit einer alten Liebe, folgenden Text zu Papier:
Wenn Liebe etwas mit dem Wunsch nach Ewigkeit und der Angst vor Verlust zu tun hat, dann erklärt sich vielleicht, warum ein verunglückter Held so viel Kraft besitzt, uns noch Jahre nach seinem Tod in unseren Herzen und Köpfen zu bewegen. John Lennon wäre diesen Herbst 70 Jahre alt geworden; stattdessen jährt sich am 8. Dezember sein 30. Todestag.
Lange vor diesem nicht nur für Beatles-Fans tragischen Verlust spielt dieses eindrucksvolle Lennon-Biopic der Regie-Debütantin Sam Taylor-Wood („50 Shades of Grey“) aus dem Jahre 2009. Sensibel und mit außergewöhnlich guten Darstellern besetzt skizziert „Nowhere Boy“ die tragischen emotionalen Verstrickungen zwischen dem jungen John (Aaron Taylor-Johnson, heute Ehemann der Regisseurin), seiner Tante Mimi (Kristin Scott Thomas) und der lange verschwundenen Mutter Julia (Anne-Marie Duff), die der Ausnahmemusiker mit Hilfe seines Talents später in Meilensteine der Rockgeschichte umwandeln wird.
Dass eine schwierige Kindheit also nicht unbedingt in einer verkrachten Existenz enden muss, beweist dieser Film ebenso mühelos wie die Tatsache, dass der Beatle lange vor Yoko Ono vor allem durch sein Verhältnis zu Frauen geprägt wurde. Aaron Taylor-Johnson gebührt das Lob, den jungen Lennon in Mimik, Haltung und Stimmlage so überzeugend zu verkörpern, dass man nach dem Verlassen des Kinos meint, selbst Augenzeuge der schicksalshaften Jahre von Johns Wiederbegegnung mit der Mutter bis zu seinen ersten Erfolgen in Hamburg gewesen zu sein. Matt Greenhalghs runder Dramaturgie ist es außerdem zu verdanken, dass man nie dem von so vielen Star-Biographien her bekannten Gefühl erliegt, Zeuge einer Verfilmung bekannter Schwarzweißfotos zu werden.
Dass dieses mehrfach preisgekrönte Werk gleich zu Beginn der Lennon‘schen Karriere schon wieder zu Ende ist, tut der Wirkung des Films übrigens keinen Abbruch; vielleicht, weil er damit unbewusst einer alten Lebensweisheit folgt: Hör auf, wenn es am Schönsten ist.
Episode 3 – 2018:
Den dritten Teil dieser so disparaten Textsammlung bildet ein kleines Gedicht. Dieser vielleicht intimste Text entstand, als ich selbst 40 Jahre alt geworden war. 40 Jahre und zwei Monate, um genau zu sein:
living
sangst du
da war ich noch
dead
und als ich lebte
gerade so
mit ohren
dich zu hören
sangst du
living on
immer noch
und etwas später
als dein tod bereits
beschlossen war
da sangst du noch
living on borrowed time
zum ersten mal
in meinem leben
bin ich älter
als du es je warst
bisher gab es
für jeden schritt
ein kleines bisschen
living
von dir
brüchig aber bewahrt
für immer
ab jetzt muss ich vorangehen
john
und für uns beide
entdecken
was nach dem schuss
auf uns wartet
Bild: stuarthampton / pixabay