Seit 35 Jahren zeichnet der Right Livelihood Award« Männer und Frauen aus, die heute schon umsetzen, was die Welt morgen zum Überleben braucht. Die von der Öffentlichkeit zum »Alternativen Nobelpreis« geadelte Auszeichnung hat sich einen vielversprechenden Dreiklang auf die Fahnen geschrieben: Visionen vorstellen, Vorbilder benennen, Neues ermöglichen. Mit der Kraft der Gedanken lassen die Ausgezeichneten all die Themen erahnen, die in gar nicht so ferner Zukunft wirklich von Bedeutung sein werden.

 

An wen werden sich künftige Generationen erinnern, wenn sie zurückblicken auf die Zeit des Jahrtausendwechsels? Wer werden sie sein, die Robin Hoods und Jeanne d’Arcs, die Dietrich Bonhöfers und Sophie Scholls der Zukunft? Wohl kaum Angela Merkel, Wladimir Putin, Barack Obama oder Bill Gates.

Wahrscheinlich werden es eher Menschen sein, die heute weitgehend unbekannt unter uns leben. Menschen, wie die englische Töpferin Angie Zelter, die sich eines Tages entschloss, sich nicht länger von den gigantischen Atom-U-Booten im Hafen ihrer schottischen Heimat einschüchtern zu lassen, und kurzerhand begann, die atomare Abrüstung in die eigenen Hände zu nehmen, indem sie mit Schraubenzieher und Drahtschere in das Sperrgebiet eindrang und militärisches Gerät einfach ins Meer warf?

Oder werden es moderne Märtyrer sein wie der Nukleartechniker Mordechai Vanunu, der nicht länger schweigen wollte, das Staatsgeheimnis des israelischen Atomwaffen-Programms an die Öffentlichkeit brachte, vom israelischen Geheimdienst verschleppt wurde und 16 Jahre in Einzelhaft saß? Oder vielleicht – viel weniger dramatisch – Wissenschaftler wie der Amerikaner Amory Lovins, der Ökologie und Ökonomie verbinden will und mit enormem Erfolg geduldig daran arbeitet, dem gefräßigen Spätkapitalismus seine ressourcenvernichtenden Zähne zu ziehen?

Männern und Frauen also, die angesichts der Zerstörungen und Ungerechtigkeiten, der Fehlentwicklungen und Bedrohungen nicht den Kopf in den Sand steckten, sondern genau hinschauten und aktiv wurden. Sie suchten neue Wege der wirtschaftlichen Entwicklung, des Schutzes der Natur, der Energiegewinnung, der Ermutigung.

Die vielversprechendsten dieser Spuren in eine andere Zukunft werden seit 35 Jahren mit dem ‚Right Livelihood Award’ ausgezeichnet. Dass man ihn heute den ‚Alternativen Nobelpreis’ nennt, ist nicht die Idee des Stifters, sondern ein indirektes Lob der Öffentlichkeit, die ihn längst mit dem wichtigsten internationalen Wissenschaftspreis vergleicht.

Briefmarkenhändler Jakob von Uexküll fragte sich eines Tages, ob man guten Gewissens sein Leben mit dem Sammeln kleiner bunter Papierchen verbringen dürfte, während zeitgleich die Welt immer mehr in Stücke fiel.

Alles begann mit dem Traum eines Philatelisten. Gut drei Jahrzehnte ist es her, dass sich der deutschschwedische Briefmarkenhändler Jakob von Uexküll eines Tages fragte, ob man guten Gewissens sein Leben mit dem Sammeln kleiner bunter Papierchen verbringen dürfte, während zeitgleich die Welt immer mehr in Stücke fiel. Er entschloss sich, seine Sammlung zu verkaufen und den Erlös der schwedischen Nobel-Stiftung für einen Umwelt- und Menschenrechtspreis anzubieten.

Als man dort hochmütig abwinkte, entschloss er sich – gemäß dem indianischen Slogan »Walk your talk!« – mit dem Geld eine Stiftung zu gründen und schrieb den ‚Preis für die richtige Lebensführung’ aus. Als 1980 die erste Preisverleihung in einer kaum geheizten angemieteten Turnhalle stattfand, ahnte niemand, dass diese Initiative bald schon eine Beachtung finden sollte, die dem ‚richtigen’ Nobelpreis nur wenig nachstand.

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Und tatsächlich umfasst der ‘Right Livelihood Award’ heute ein so breites Spektrum, dass man ihn getrost mit seinem großen Bruder vergleichen kann: Mit dem Alternativen Nobelpreis werden Friedens-, Umwelt- und soziale Projekte ausgezeichnet, Konzepte alternativer und nachhaltiger Entwicklung in der ‚Ersten‘ und ‚Dritten Welt‘, mit ihm wird die Nutzung regenerativer Energien unterstützt und die Entwicklung entsprechender Technologien, die biologische Landwirtschaft und ganzheitliche Gesundheitsversorgung.

Der Preis belohnt den Schutz biologischer und kultureller Vielfalt, den Ausbau der Demokratie, den Schutz der Menschenrechte. Er belohnt all das, was in der Welt der Gegenwart nach neuen Lösungen ruft und der Förderung bedarf. »Der Preis soll natürlich die Preisträger ehren und unterstützen und bekannter machen, damit ihre Arbeit auch verbreitet wird«, sagt der Stifter des Preises Jakob von Uexküll: »Aber gleichzeitig soll der Preis anderen Menschen, auf ganz anderen Gebieten, Hoffnungen machen.«

Der alternative Nobelpreis zeichnete schon 1984 die kenianische Ökologin Wangari Maathai aus, geschlagene 20 Jahre, bevor das norwegische Nobelkomitee mit dem Friedenspreis hinterherhinkte.

Visionen vorstellen, Vorbilder benennen, Neues ermöglichen lautet der Dreisprung in eine andere Zukunft, den der Right Livelihood Award immer wieder versucht. Und tatsächlich war der Preis seiner Zeit immer etwas voraus. Er stellte Menschen in das Licht der Weltöffentlichkeit, die schon Anfang der 80er Jahre erfolgreich mit nachhaltigen Lebensformen experimentierten – 10 Jahre bevor in Rio das ‚Leitbild Nachhaltigkeit’ als Zukunftsslogan propagiert wurde.

Er zeichnete schon 1984 die kenianische Ökologin Wangari Maathai aus, geschlagene 20 Jahre, bevor das norwegische Nobelkomitee mit dem Friedenspreis hinterherhinkte. Während der Nobelpreis meist den Blick zurück auf die großen Erfindungen des 20. Jahrhunderts wirft, gilt der alternative Bruder als Zukunfts-Preis des neuen Jahrtausends: Er zeichnete 2003 den australischen Solartüftler Martin Green aus, ein paar Jahre zuvor den griechischen Homöopathen George Vithoulkas – während der Physik-Nobelpreis weiter an Mammutprojekte und der Medizin-Nobelpreis regelmäßig an die hochdotierten Technokraten des konventionellen Gesundheitsbetriebs vergeben wurde.

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2012 war Gene Sharp unter den Preisträgern, der heimliche Stratege der globalen Zivilgesellschaft und Impulsgeber der ‚arabischen Revolutionen‘ für mehr Demokratie. 2013 ging die Auszeichnung an den Schweizer Ökologen und Pionier natürlicher Landwirtschaft Hans Herren und den Experten für die Abrüstung chemischer Waffen Paul Walker. Für 2014 liegen schon über 50 neue Vorschläge bei der Stockholmer Stiftung.

Zwar hat der Preis die große Wende nicht geschafft. Aber er hat aufzeigen können, dass für die drängenden Probleme, an denen die konventionelle Politik, Wirtschaft und Wissenschaft scheitert, Lösungen längst vorhanden sind. Häufig – aber nicht immer – war der Preis auch eine Art Lebensversicherung gegen Attentate und Verfolgung. Die rund 150 Pioniere, die den Right Livelihood Award bislang erhielten, konnten nicht mehr ignoriert werden. Scheiterten sie vorher mit ihren Vorschlägen schon am Pförtner der Ministerien, stand nach der Auszeichnung der Minister selbst an der Tür.

Statt sich resigniert abzuwenden und fatalistisch so weiter zu machen wie bisher, ließen sich die preisgekrönten Pioniere tief berühren von dem Schmerz der Menschen, der Not von Ökosystemen, dem Horror der Kriege.

Über die Jahre setzte sich aus den bunten Mosaiksteinen preisgekrönter Ideen und Projekte nach und nach das kohärente Bild einer anderen Zukunft zusammen. Denn jede Krise bringt immer auch engagierte Menschen hervor, die neue Lösungen entwickeln. Der Alternative Nobelpreis wurde so zum Spiegel einer Bewegung, die längst nicht mehr aus Nörglern, Freaks und Träumern besteht, sondern an der nachhaltigen Zukunft schon lange erfolgreich selber bastelt.

Am Anfang jeder neuen Vision steht aber meist der ehrliche Blick auf die Wunden der Welt, eine schonungslose Konfrontation mit dem ganz alltäglichen Wahnsinn: »Eigentlich sind wir in der Position eines Bankräubers, der bei seiner Investition darauf achtet, dass er ein Schweißgerät entwickelt, mit dem er einen Tresor nach dem anderen aufbricht«, sagte der im Mai verstorbene deutsche Quantenphysiker und Preisträger Hans-Peter Dürr. »Und wir sagen: ‚Toll!’ und ‚Alle sollen das nachmachen!’.

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Aber diese Lebensweise ist abhängig von diesen Tresoren. Eines Tages werden sie leer sein. Statt sich resigniert abzuwenden und fatalistisch so weiter zu machen wie bisher, ließen sich die preisgekrönten Pioniere tief berühren von dem Schmerz der Menschen, der Not von Ökosystemen, dem Horror der Kriege. So tief, dass es für sie einfacher, besser und gesünder war, etwas für die Veränderung des Unerträglichen zu tun, als weiterhin nur zuzuschauen.

Die oft unterdrückten Emotionen Wut und Verzweiflung wurden so zum machtvollen Treibstoff der Veränderung: Die Bereitschaft, den Schmerz über den Zustand der Erde zu fühlen, öffneten die Tür des Mitgefühls. Gehandelt wurde dann aus Liebe zur Welt, nicht aus Hass gegen die Mächtigen. »Das Herz dieser Revolution«, sagt deshalb der Preisträger Nicanor Perlas, Umwelt- und Sozialaktivist von den Philippinen, »ist die Revolution des Herzens.« Mit anderen Worten: Wer sich innen verändert, will und kann auch die Welt transformieren.

Statt den Mensch als Krone der Schöpfung zu verstehen, dessen Aufgabe es sei, die unvollkommene Natur zu verbessern, sich untertan zu machen und gnadenlos auszubeuten, lautet das Schlagwort der Preisträger: ‚Von der Natur lernen’.

Die Vorreiter einer anderen Zukunft machen Hoffnung in einer Zeit, in der alles in Stücke zu fallen scheint. Schlaglichter auf Pioniere des Wandels verdeutlichen das: Menschenrechtsaktivisten kämpfen gegen Unterdrückung und für Demokratie, Wissenschaftler gegen die schleichende atomare Verseuchung und für alternative Energien, Sozialreformer für die Erneuerung sozialer Gemeinschaften und kooperative Lebensformen. Friedensinitiativen bereiten den Boden für Verhandlungen zwischen Erzfeinden, helfen Kriegswunden zu heilen und treiben Abrüstung voran.

Dritte-Welt-Initiativen kämpfen für die Rechte der Ureinwohner und die Bewahrung kultureller Vielfalt. Betroffene ‚Davids’ nehmen den Kampf gegen internationale ‚Goliaths’ auf und engagieren sich gegen chemische Vergiftung, sinnlose Mammutprojekte, Zerstörung biologischer Vielfalt. Kritische Sozialwissenschaftler erdenken nachhaltige Gesellschaftsmodelle, alternative Wirtschaftsformen, ganzheitliche Bildungsprogramme. Selbsthilfegruppen in aller Welt erproben eigene Wege zur Entwicklung.

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Im Mittelpunkt all dieser Spuren in eine andere Zukunft steht seit Anbeginn eine Vision von Wachstum, die statt Profiten die Lebensqualität und die Entfaltung menschlicher Potenziale in den Mittelpunkt stellt. Statt den Mensch als Krone der Schöpfung zu verstehen, dessen Aufgabe es sei, die unvollkommene Natur zu verbessern, sich untertan zu machen und gnadenlos auszubeuten, lautet das Schlagwort der Preisträger: ‚Von der Natur lernen’.

Sich an den natürlichen Regeln und Begrenzungen zu orientieren, verlangt in der politischen Praxis nicht nur kleine Korrekturen, sondern einen grundlegenden Umbau der Gesellschaft. Die Wirtschaft und Technologie muss übersichtlich und fehlerfreundlich strukturiert sein, statt riesengroß, kaum steuerbar und damit gefährlich. Kein Wunder also, dass der Alternative Nobelpreis zum Symbol wurde. Zum Symbol einer Forschung, die rücksichtsvoll die Natur belauscht, statt sie zu beherrschen, die eher auf Selbstheilung setzt, als auf die Pharmaindustrie. Zum Symbol einer Politik und Wirtschaft, die auf lokale Lösungen und Vielfalt setzt, statt auf globalisierte Einfalt, die traditionelles Wissen aus der Dritten Welt ebenso hoch bewertet, wie wissenschaftliche Erkenntnis aus der Ersten. »Der Alternative Nobelpreis will dem Norden helfen, die Weisheit zu finden, die zu seiner Wissenschaft passt«, sagt der Stifter des Alternativen Nobelpreises Jakob v. Uexküll, »und dem Süden, die Wissenschaft zu finden, die seine althergebrachte Weisheit ergänzt.«

»Es gibt viel zu viele gute Ansätze, um Pessimist zu sein und viel zu viel Probleme, um Optimist zu sein. Ich sage immer: Sie sind ‚Possibilisten’. Sie sehen, was geht und tun das Menschenmögliche.«

Was bislang als getrennt galt, gehört plötzlich zusammen und wird zur Bedingung für Nachhaltigkeit: Umweltschutz, Ökonomie, Friedenspolitik, Menschenrechte, Demokratie, Gleichberechtigung, Entwicklungspolitik, Gesundheitspolitik, kulturelle Vielfalt, Bildung, gesunde Gemeinschaften. Der ganze eng verknüpfte Teppich der menschlichen Gesellschaft erhält ein neues Muster, wenn das Prinzip Nachhaltigkeit das Webschiffchen führt. Die Lösung für globale Probleme liegt aus dieser Perspektive immer vor der eigenen Haustür. Werden sie überall lokal gelöst, ist die Wirkung automatisch global.

Da wird deutlich: Der Alternative Nobelpreis folgt nicht den konventionellen Kriterien für »Leistung«, »Erfolg« und »Wachstum«. Ihm geht es nicht um das »besser, schneller, höher«. Ganz im Gegenteil! Die Maßstäbe lauten eher: kleiner, langsamer, überschaubarer. Mit dem ‚Preis für die richtige Lebensführung’, wie der alternative Nobelpreis wörtlich heißt, hat der
Stifter auch die Werte- und Sinnfrage wieder in die Diskussion gebracht. Denn der Wandel, den die Preisträger einfordern, reicht oft tief hinunter zu den Welt- und Menschenbildern, den religiösen Grundüberzeugungen und Mythen der modernen Zivilisation. Kaum ein Preisträger, der deshalb nicht auch eine grundsätzlich neue spirituelle und ethische Orientierung einfordert. Das betrifft jeden Einzelnen und fordert persönliche Veränderungen, die dann in der Gesellschaft wirksam werden können.

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Da steht statt dem reinen Nutzenfaktor die Ehrfurcht vor dem Leben im Vordergrund. »Dann merken wir sehr schnell, dass wir Teil einer größeren Einheit sind, dass unser Selbst nicht bei uns endet, sondern dass auch die Natur dazugehört«, betont Jakob v. Uexküll. »Das ist eine spirituelle Erfahrung und gleichzeitig etwas sehr Rationales.« Und wenn Ehrfurcht vor dem Leben und eine Rückbindung an etwas Größeres wieder eine Rolle spielen darf, bekommen politische Fragen plötzlich eine hohe spirituelle Relevanz.

Den Preisträgern geht es deshalb darum, mit all ihren Initiativen und Projekten auch ein anderes Menschen- und Weltbild vorzuleben: Eine Politik des Herzens, friedliche Lösungen, kooperative Strukturen. Jakob v. Uexküll hat für die rund 150 Pioniere aus sechzig Ländern ein neues Wort gefunden: »Es gibt viel zu viele gute Ansätze, um Pessimist zu sein und viel zu viele Probleme, um Optimist zu sein. Ich sage immer: Sie sind ‚Possibilisten’. Sie sehen, was geht und tun das Menschenmögliche.«

 

Bild: Unsplash

 

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Written by Geseko von Lüpke

Dr. Geseko von Lüpke ist Journalist, Autor und Netzwerker, der in seinen Seminaren und Visionssuchen persönliche Übergänge begleitet und kollektive Übergänge als Chronist beschreibt.

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