Als er schon „der Brooks“ war, lud er seine Mutter Kate ein, mit ihm nach Kiew zu reisen – dorthin wo sie im Schtetl einen Teil ihrer Kindheit verbracht hatte. Die alte Dame überlegte kurz und sagte dann: „Ach weißt du, ich glaube, ich will doch lieber nach Hawaii!“ Hätte der Brooks seinen Vater Max an den Ort von dessen Kindheit eingeladen, wäre die Reise ins ehemals preußische Danzig gegangen. Der Vater aber war gestorben, als Mel Brooks noch Melvin Kaminsky hieß und gerade mal drei Jahre alt war.

Es war Montag der 28. Juni 1926, als der kleine Melvin in Brooklyn das Licht der Welt erblickte. Neuneinhalb Jahre später wird ein paar Blocks weiter Allan Stewart Konigsberg geboren, den die Welt als Woody Allen kennenlernen wird. Es ist eine Gegend, in der auch heute noch viele jüdische Kinder in dem Glauben aufwachsen, dass die ganze Welt jüdisch sei. Wer damals dort groß wurde, machte – als in Europa die Shoa vorbei war – Witze über die Nazis. Zumindest wenn man sich als professionellen Komiker verstand und keinen Auschwitz-Überlebenden in der eigenen Familie hatte. Woody Allen, der wie Mel Brooks seine Karriere als Stand up-Comedian begann, sagte in seinen frühen Programmen: „Immer wenn ich Wagner höre, habe ich das Gefühl, ich müsse Polen überfallen!“ Und Mel Brooks machte 1967 in seinem ersten Film ‚The Producers’ einen schwulen Hitler zur Broadway-Parodie. Im Kalkül zweier betrügerischer Produzenten sollte die Show zwar ein Flop werden, um mit dem Geld ihrer Anleger durchzubrennen. Erstaunlicherweise aber wurde das Stück (in der Filmhandlung) ein Erfolg – wie Mel Brooks Filmdebüt selbst auch und 35 Jahre später das gleichnamige Broadway-Musical.

As long as the world is turning and spinning,
we’re gonna be dizzy and we’re gonna make mistakes.

In Mel Brooks Leben lief es nicht anders, wie bei vielen anderen erfolgreichen Karrieren im amerikanischen Show-Business auch – er lernte im richtigen Augenblick die richtigen Leute kennen. Als er noch als Stand up-Comedian durch die Clubs tingelte, war es Sid Caesar, der ihn entdeckte und als Sketch-Schreiber engagierte – wie später auch Woody Allen und Neil Simon. Der ehemalige Saxophonist war da bereits mit der wöchentlichen Fernseh-Comedy ‚Your Show of Shows’ landesweit bekannt. Sid Caesar schätzte an seinem neuen Sketch-Autor, dass dieser, wie er selbst auch, in einem Milieu des hintergründigen jüdischen Humors aufgewachsen war. Das verband. Bei ‚Your Show of Shows’ traf Mel Brooks dann Carl Reiner, einem als Schauspieler, Regisseur und Produzent tätigen Multitalent, der ihn 1961 ins Plattenstudio einlud. Mehrere gemeinsame Comedy-Scheiben entstanden. Schließlich traf Mel Brooks den Drehbuchautor Buck Henry (‚Die Reifeprüfung’) und erfand mit ihm gemeinsam die TV-Serie ‚Mini-Max’. Und weil die Serie sehr erfolgreich war, gelang es Mel Brooks eben 1967 einen Produzenten für den Film ‚The Producers’ zu finden, der in Deutschland unter dem Titel ‚Frühling für Hitler’ in die Kinos kam.

Nun erst, mit fast 40 Jahren, schuf er den Grundstein dafür, dass aus Mel Brooks in den Siebzigern ‚der Brooks’ wurde. Denn was nun folgte, liest sich als eine beachtenswerte Filmographie. Auf den Plakaten von nicht weniger als 21 Produktionen wird Brooks genannt: als Regisseur, als Produzent, gelegentlich auch als alleiniger Drehbuchautor und als Schauspieler sowieso. Die Titel der Filme kann jedermann auf Wikipedia nachlesen, was aber das wirklich Bemerkenswerte ist: Nur wenige Künstler (15 um genau zu sein) haben wie Mel Brooks nacheinander alle wichtigen amerikanischen Showpreise abgeräumt: jeweils einen Oscar, einen Grammy, eine Emmy und den Tony Award. Soweit also die wichtigsten Lebensdaten, wie sie (umfangreicher noch) üblicherweise Biographen auflisten.

Well, just being stupid and politically incorrect doesn’t work.
You can be politically incorrect if you’re smart.

Wenn hingegen Mel Brooks über sein Leben spricht, so geschieht dies durch eine Aneinanderreihung skurriler Anekdoten. Da ist zum Beispiel die mit der Colaflasche. Mel Brooks, der klein ist und ‚short people’ mit unbarmherziger Zuneigung verfolgt, erzählt, wie er völlig unerwartet im häuslichen Kühlschrank die erste Familienflasche Coke entdeckt habe. Vorher jahrelang immer diese kleinen Flaschen. Und jetzt auf einmal die große: „Ich erschrak und dachte, ich sei geschrumpft.“ Oder wenn er, über sein Verhältnis zu den Europäern befragt, behauptet: „Ich liebe es, in Los Angeles auf einem Freeway zu fahren und jemanden in der Schweiz anzurufen. Nicht, dass ich jemand in der Schweiz kennen würde, doch ich finde es unheimlich schick, dort anzurufen. Meistens nehmen irgendwelche Frauen ab, die ich nicht kenne.“

Im Jahr 1982 besuchte Mel Brooks zum ersten Mal die deutsche Heimat seines Vaters. Er war nach Berlin gekommen, um seinen Film „Die verrückte Geschichte der Welt“ zu promoten. Die Pressekonferenz eröffnete er mit dem Satz: „Ich bin froh, wieder in Berlin zu sein – ich war allerdings noch nie hier.“ Mit dem Film „Die verrückte Geschichte der Welt“ hatte Mel Brooks seine satirischen Parodien früherer Filmwerke auf die Spitze getrieben. Bei ‚Blazing Saddles’ hatten die Wildwest-Klassiker ihr Fett weg gekriegt. Dafür hatte sich Mel Brooks erstmals für einen größeren Part auch vor die Kamera begeben – in der Rolle eines debilen Gouverneurs. In ‚Frankenstein junior’ war das Genre der frühen Horrorfilme parodiert worden. Diesmal, bei der „verrückten Geschichte der Welt“, waren es die historischen Monumentalschinken wie ‚Ben Hur’ oder ‚König der Könige’, die seinen Spott abbekamen.

I’m rather secular. I’m basically Jewish.
But I think I’m Jewish not because of the Jewish religion at all.

Mel Brooks zerlegte Weltgeschichte in schräge Anekdoten, was nicht jedem gefiel. Die zehn Gebote? G’tt hatte Moses 15 davon auf drei Tafeln mit auf den Weg gegeben, aber unterwegs war ihm eine Tafel zerbrochen. So mussten es auch zehn tun. Das Abendmahl (von dem Brooks wusste, dass es ein Seder war)? Leonardo macht ein Gruppenphoto, und Mel Brooks ist als Aushilfskellner dabei: „Zahlen die Herren getrennt, oder geht alles auf eine Rechnung?“ Viele Kinogänger mögen sich über diese Chuzpe im Umgang mit Geschichte gewundert haben. Wer aber den anarchischen jüdischen Witz kennt, den Leute wie Mel Brooks’ Mutter aus den osteuropäischen Schtetln bis nach Brooklyn gebracht haben, tut dies amüsiert, aber ohne Verwunderung. Der Brooks hat diesen Witz zum Stil erhoben, hat ihn auch bei den Gojm unter den Kinobesuchern salonfähig gemacht und er wusste immer auch, warum er dies tat: „Ich will die Leute im Kino zum Lachen bringen. Dafür geben sie mir ein wenig Kleingeld, das ich zu einer kleinen Bank trage. Ich habe daher einen kleinen Rolls-Royce, ein kleines Haus und viele kleine Frauen.“ Masal tov, Mel!

 

Bild: Angela George

Written by Gerhard Haase-Hindenberg

Gerhard Haase-Hindenberg ist Schauspieler ("Operation Walküre") und Publizist (»Die Hexe von Gushiegu«, »Der Mann, der die Mauer öffnete«, »Göttin auf Zeit«). Sein neues Buch »Sex ist Kopf« wurde über Nacht zum Bestseller und stand wochenlang in der Spiegel-Bestseller-Liste.

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