„bürokratie vernichtet das bauhaus. der bauhausgeist lässt sich nicht vernichten.“ als der junge bauhaus-student hans keßler im juni 1933 diese prophetischen zeilen an seine mutter schrieb, war die schlacht der nationalsozialisten gegen die vorzeigeschule der moderne fast geschlagen.
seit herbst 1932 hatte die aus dessau vertriebene hochschue für gestaltung versucht, in der damaligen reichshauptstadt neu fuß zu fassen. auf dem letzten rauschenden bauhausfest im februar 1933 schien der erfolg dieser zweiten umsiedlung innerhalb von 13 jahren zum greifen nah. die presse berichtete überschwänglich, die gäste zeigten sich entzückt. doch als sich die bauhäusler zum letzten mal noch einmal so richtig in futuristische schale warfen, war hitler bereits reichskanzler – und die lage in berlin alles andere als vielversprechend.
keine zwei monate später war das gebäude zweimal durchsucht und von amtswegen versiegelt worden. nun oblag es beamten und politikern, über die zukunft der gestaltung in deutschland zu entscheiden. keßler, der im neuen zeitgeist das werk eines „wildgewordenen, proletarisierten mittelstands“ erkannte, konstatierte nach den ersten bücherverbrennungen „wider den undeutschen geist“: „junge leute, deren geistiges niveau am besten der name ‚winnetou‘ wiedergibt, wagen über thomas mann zu urteilen…“ und er fügte hinzu: „man betrachtet diese aktion wider den geist am besten vom humoristischen standpunkt, als bierulk.“
wie ernst die lage in wirklichkeit war, zeigten nicht nur die massenverhaftungen von politisch andersdenkenden, sondern auch die ersten antisemitischen gesetze, unter anderem gegen lehrer mit jüdischer religionszugehörigkeit. trotzdem sah der sonst so scharfsinnige analyst keßler das bauhaus noch im april 1933 nicht dauerhaft bedroht: „heute wurde das bauhaus von polizei und s.a. untersucht. da werden sie endlich festgestellt haben, dass das bauhaus keine kommunistische zelle ist.“ und tatsächlich: dem damaligen direktor der hochschule, dem architekten ludwig mies van der rohe, gelang tatsächlich das unmögliche: er erhielt den segen der nazis, das bauhaus wiederzueröffnen – wenn er garantien für gewisse lehrer und lehrinhalte übernehme.
es gehört zu den großen visionären entscheidungen der bauhäusler, einer vereinnahmung durch die neuen machthaber im land mit hilfe einer selbstauflösung am 20. juli 1933 zuvorgekommen zu sein. vor allem vor dem hintergrund der tatsache, dass es anfangs gar nicht ausgeschlossen war, dass die bewegung der moderne – ähnlich der sozialistischen idee – als nützliche grundlage für die rassistische politik der nationalsozialisten herangezogen werden könnte.
hans keßler, der nach schließung des bauhauses abwechselnd als bau- und zementtechniker, betriebsingenieur und laborleiter tätig war, hatte den elementaren unterschied zwischen der geisteshaltung der moderne und des sich selbst als moderne revolution verstehenden faschismus einmal so treffend auf den punkt gebracht: „man spricht heute sehr viel von kultur, insbesondere von deutscher kultur. wir bauhäusler wollen auch für die deutsche kultur arbeiten. nur ist für uns der begriff ‚deutsch‘ nicht für alle zeiten festumrissen, er scheint uns wandelbar, erweiterungsfähig, wir jungen, wir glauben, auch noch etwas neues sagen zu können…“
angesichts gegenwärtiger politischer diskussionen scheint keßlers kulturbegriff des „deutschen“ so wichtig wie nie zuvor. „das bauhaus ist tot, aber der bauhausgeist lebt,“ notiert er in einem seiner briefe, „seine fragen kann man nicht verleugnen.“ knapp 85 jahre nach der versuchten versiegelung der moderne in deutschland ist es an der zeit, sie endlich zu beantworten. „wir fragen nicht bei jedem strich, ist er deutsch; wir wissen, er ist deutsch, wenn wir ihn erlebten. kultur ist nicht eine frage des wollens, sondern des seins.“
literatur: hans keßler, die letzten zwei jahre des bauhauses, briefe eines bauhäuslers an seine mutter (berlin 2013), erschienen in der reihe: bauhäusler, dokumente aus dem bauhaus-archiv berlin.
fotos: nicolas flessa