Verfolgt. Ermordet. Vergessen. Geschätzte 500.000 Sinti und Roma wurden einst Opfer des Holocaust in Europa. Ihre Nachfahren leiden noch heute unter schlimmster Diskriminierung.
In Berlin diskutierten vergangene Woche Politiker und Wissenschaftler im Rahmen einer Konferenz zum Thema Antiziganismus über die Rolle der politischen Bildung für seine Überwindung.
Ist gerade jetzt im Angesicht der vielen Krisen, die Europa zu meistern hat, der richtige Zeitpunkt, um über Diskriminierung von Roma und Sinti zu sprechen? „Ja“, so die deutliche Antwort von Michael Roth (SPD), Staatsminister für Europa im Auswärtigen Amt. Zusammen mit Vertretern aus Politik und Forschung stellte er sich den Fragen des Publikums. Keine leichte Aufgabe.

„Warum werden diskriminierte Sinti und Roma von uns in ihre Herkunftsländer zurückgeschickt? Wie kann die Politik hier von einer positiven Entwicklung sprechen?“ Es wird still im Saal. Die Frage kommt von einem Nachwuchswissenschaftler der FU Berlin und trifft einen wunden Punkt.Die Staaten des Westbalkans seien selbstverständlich keine diskriminierungsfreien Staaten, räumt Roth ein. Für die Beantragung des politischen Asyls jedoch reiche dieser Fakt nicht aus. Unruhiges Füßescharren im Saal.
Europa habe viele Fehler gemacht, so Roth. Die schlechte Behandlung der Gastarbeiter sei nur ein Beispiel dafür. Doch die heutige Europäische Gemeinschaft sei eine gewachsene Wertegemeinschaft, die jedoch nur glaubhaft sein könne, wenn sie ihre Werte auch vertrete und ihnen mit Achtsamkeit begegne.
Große Worte. Doch wie soll diese Achtsamkeit Einzug halten in eine Gesellschaft, die schon jetzt mit der Flüchtlingsfrage völlig überfordert und zerrissen zu sein scheint? Welche Chancen der Integration haben nationale oder religiöse Minderheiten im heutigen Europa, das einst hoffte, den Nationalismus überwinden zu können?
Politische Bildung und Sensibilisierung lauten die Zauberworte der Politiker und Bildungsforscher. Änderung der Lehrpläne, der offene Dialog zwischen Roma und Nicht-Roma, Aufklärungsprojekte in öffentlichen Institutionen, Einführung eines internationalen Gedenktages. Die Liste der Forderungen ist lang.

Dr. Ethel Brooks, Romni und Professorin an der Rutgers Universität (USA) insistiert: „Wir müssen ein kollektives Gedächtnis aufbauen für unsere Nachfahren. Wir müssen die Lehrer ausbilden, wie sie mit diesem Thema Antiziganismus im Unterricht umgehen. Wir müssen die Identität der jungen Roma und Sinti weiter stärken.“
Die Kinder der Sinti und Roma werden oft gar nicht erst zur Schule geschickt. Zu groß ist nicht nur die Angst vor Ausgrenzung und Hass, sondern auch vor politischer Indoktrination. Die Kinder, so viele Eltern, sollen nicht im Sinne des jeweiligen Landes und seiner Regierung manipuliert werden.
Ohne Zweifel stehen der EU ausreichend Projektgelder zur Verfügung, um entsprechende Bildungsinitiativen zu starten. Roth sieht die Problematik jedoch auch in der fehlenden Bereitschaft der Staaten. So seien einigen Ländern mehre Hundert Millionen Euro zur Verfügung gestellt worden. Abgerufen wurden sie bisher nicht.
Integration sei immer eine Zweibahnstraße, so Roth. Angebote müssen auch angenommen werden, damit Integration erfolgreich sein könne. Eine etwas zu vage und einfache Erklärung für ein komplexes Problem. Roth selbst räumt ein, dass man sich deutlich fragen müsse, wie Deutschland seine Rolle in Europa nutzen und andere Mitgliedsstaaten motivieren könne, gegen den Antiziganismus vorzugehen.
Recht hat er. Doch diese wichtigste aller Fragen bleibt an diesem Abend unbeantwortet.
„Es gibt noch viel zu tun“, fasst Roth zusammen.
Verhaltener Applaus.
Titelbild: dinkobraz