Auch auf die Gefahr hin, sehr vielen Menschen auf den Schlips zu treten: Donald Trump ist nicht an allem schuld. Er ist nicht schuld an der innenpolitischen Situation der USA, die ihn ins Weiße Haus gebracht hat – in freien und geheimen Wahlen. Er ist nicht schuld an der globalen Finanzmarktkrise (auch wenn er sicher nicht sehr unter ihr gelitten hat) und er ist nicht schuld an den zahlreichen Toten der Kriege und Konflikte, in die die USA seit 9/11 in aller Welt involviert sind oder waren. Und er ist nicht schuld am Zerbrechen der europäischen Solidarität, so sehr uns sein abfälliger Kommentar über die EU auch erregen mag.

Der ganze publizistische, politische und stammtischlerische Wahnsinn, der seit der Nominierung Donald Trumps zum Kandidaten der Republikaner über uns losgebrochen ist und mit seiner Amtseinführung ihren vorläufigen Höhepunkt gefunden hat, entbehrt jeglicher Verhältnismäßigkeit. Man muss Donald Trump nicht sympathisch finden. Man muss Donald Trumps politische Ziele nicht teilen. Aber ich wünsche mir, und das im Namen der Demokratie, eine andere Diskussion in diesem Land.

Man muss Donald Trumps politische Ziele nicht teilen. Aber ich wünsche mir eine andere Diskussion in diesem Land.

Ja, man muss den Anfängen wehren. Und ja, mit Donald Trump tritt ein Selbstdarsteller ins Rampenlicht, der sich schwer im Rahmen der üblichen Politik verstehen lässt. Dieser Mann, halb Business Man, halb Reality Showstar, wird sich nicht so leicht zähmen lassen wie ein Berufspolitiker. Ob dies nun an seiner finanziellen Unabhängigkeit liegt oder einfach an seinem Selbstbewusstsein, sei dahingestellt.

Fakt ist: Donald Trump ist nicht zuletzt auch deshalb gewählt worden, weil sehr viele Menschen in seinem Land ihre Hoffnung auf ihn setzen. Diese Menschen fühlen sich betrogen, und nein, es ist nicht alles nur ein Gefühl. Wir haben massive Vertrauensverluste in die eigene Zukunft in fast allen modernen Demokratien zu verzeichnen, und dieses Misstrauen ist nicht nur eine Laune der Natur oder das Ergebnis einer kollektiven Verdummung. Es ist – und das ist tausendfach analysiert worden – das Ergebnis einer sich radikal ändernden und viele zurücklassenden Ökonomie.

Donald Trump ist nicht zuletzt auch deshalb gewählt worden, weil sehr viele Menschen in seinem Land ihre Hoffnung auf ihn setzen.

Nicht Marine Le Pen, nicht Frauke Petry, nicht Theresa May haben sich selbst geschaffen wie ein politischer Homunkulus, der aller politischen Vernunft zum Trotz aus dem Blauen heraus sein Unwesen treibt und die Welt ins Verderben stürzen will. Sie alle sind das Ergebnis der Politik der letzten 25 Jahre, in denen jene Demokraten, die sich nun verraten fühlen, ungestört tun und lassen konnten, was sie wollten. Bill Clinton, Tony Blair und Gerhard Schröder haben mehr Verantwortung für den Zustand unserer Demokratie als alle sogenannten Rechtspopulisten zusammen genommen.

Es stört mein Gerechtigkeitsgefühl als Historiker und Demokrat, dass der Wahlsieg von Donald Trump und ein paar Tweets mit zweifelhaften Sprüchen schwerer wiegen sollen als Hunderte von Drohnentoten oder Millionen von Arbeitslosen. Es stört meinen gesunden Menschenverstand, dass wir der Demokratie immer nur dann Vertrauen schenken, wenn die Mehrheit unserer eigenen Meinung ist. Seit ich in Berlin lebe, habe ich bereits an vier Volksentscheiden teilgenommen. Trotz der geheimen Wahl möchte ich heute verraten: Ich habe jede dieser Abstimmungen „verloren“.

Hat mich dies verhärmt, betrogen oder gar von der Demokratie enttäuscht? Nein. Solange wir nicht vor der Machtübername der NPD stehen, solange wir Frankreich keinen Krieg erklären und Deutsche mit Migrationshintergrund nicht des Landes verweisen, muss ich die Entscheidung des demokratischen Souveräns akzeptieren. Das ist der Wettbewerb der Ideen, auf dem unser Staat und unser Fortschritt beruht.

Solange wir Frankreich keinen Krieg erklären, muss ich die Entscheidung des demokratischen Souveräns akzeptieren.

Wenn Donald Trump eine schlechte Politik macht, wenn er den Nahen Osten mit neuen Kriegen überzieht, Homosexuelle in seiner Verwaltung diskriminiert oder Muslimen die Einreise verbietet, lasst uns die Pranger aufstellen und die Tomaten werfen. Lasst uns intelligente Diskussionen führen, konstruktiv (!) kritisieren und von mir aus Titelblätter über Titelblätter mit der Ungerechtigkeit füllen, die dieser mächtigste Mann der Welt über die Erde gebracht hat. Aber bitte: Hört auf, Donald Trump schon im Vorfeld seiner Regierung aus Gesinnungsgründen zum Teufel zu stilisieren.

Donald Trump wird die Welt ebenso wenig zerstören wie anno dazumal der von Konservativen und Hardlinern so gehasste „Prince America“ Barack Obama. Viel spannender als unser boulevardeskes Entsetzen wäre es, eigene attraktive politische Angebote auszuarbeiten, um die von Donald Trumps Wählern als wesentlich wahrgenommenen Missstände zu beseitigen. Das gilt auch für unser eigenes Land. 2017 ist nicht nur 100 Jahre (russische) Revolution, sondern auch Superwahljahr in der Bundesrepublik. Was wird am Ende mehr Wähler überzeugen? Die politische Konkurrenz zu diskreditieren – oder den Wähler da abzuholen, wo er steht: als ein mündiger Bürger, der sich von der Politik seines Landes wünscht, dass er (neben dem Schutz vor Nachstellung und Verhungern) ausreichend Gelegenheit zum Einsatz seiner Talente und seiner Liebe finden wird?

Das beste Rezept gegen Frustwähler ist immer noch der Lustwähler.

 

Bild: DonkeyHotey

 

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Written by Nicolas Flessa

Nicolas Flessa studierte Ägyptologe und Religionswissenschaft. Der Chefredakteur von seinsart drehte Spiel- und Dokumentarfilme und arbeitet heute als freischaffender Autor und Journalist in Berlin.

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