Es ist Montag: Die erste Woche von „100 Happy Days“ ist vorbei. Ich habe auch schon die ersten Mails bekommen, ob sich mein emotionaler Zustand durch die Aktion verbessert habe…
Mal sehen: Die Woche hat nicht schlecht begonnen. Der erste Aktionstag war schließlich ein Sonntag, man musste nicht arbeiten, es gab hochkalorienreiches Hausgemachtes nach mexikanischer Tradition, einen tollen Trashfilmabend mit Freunden und eine Überraschung: Ein unerwartetes Wiedersehen auf ein Bierchen mit einem alten Bekannten. Kein schlechter Start.
Dann begann die Arbeitswoche und mit ihr der Alltag. Highlight des Montags war die Einführung einer neuen Tradition, sehr organisch ins Berufsleben integriert: Gemeinsame Mittagspausen via FaceTime mit einer ehemaligen Kollegin und Freundin, die nun weit entfernt in einer anderen Stadt und Firma begonnen hat. Der kurze Statusbericht über den neuen Job hat sich schnell zu einem gemeinsamen Lunch mit Liveübertragung entwickelt, der von nun an – wenn möglich – täglich wiederholt wird. Während wir uns vorher nur beschwert hatten, nicht genügend voneinander zu hören, haben wir nun einen schönen neuen Brauch geboren, der diesem Problem Abhilfe schafft.
Dienstag gab es den Startschuss in die lokale „Fiesta Del Cine“, mit allen Kinofilmen für nur 2,90 € – drei volle Tage lang. Dasselbe Foto drei Tage lang zu wiederholen wäre wohl eine Verletzung der Regeln gewesen, was zumindest Mittwoch unseren Schildkröten die Ehre des Fotos des Tages ermöglichte. Der erste Kinobesuch (Alejandro Amenábars „Regression“) sorgte auch tatsächlich für ein spontanes Kennenlernen: Durch die kurzfristige Absage einer Freundin musste eine einzelne Karte abgegeben werden. Ein Trainer des im Hause integrierten Fitnesscenters war der einzige, der sich nach dreißig Minuten Suche (es kann sehr schwer sein, eine einzelne freie Kinokarte zu verschenken) als Begleitung anbot. Auch wenn wohl keine ewige Freundschaft aus diesem Treffen entstehen wird, so war der Abend dennoch für eine angenehme Unterhaltung und einen empfehlenswerten Film gut.
Für weitere filmische Momente waren die folgenden Tage überdrehte spanische Kost oder mitreißendes deutsches Arthouse-Entertainment sowie die Premiere des neuen Bonds „Spectre“ zuständig. Abwechslung zum Kinowahnsinn kam am Samstag mit dem Besuch eines Markenoutlets in einem verlassenen Gewerbegebiet. Neben zahlreichen Klamottenschnäppchen (nein, ich habe nichts gekauft…) gab es die derzeit sehr beliebten Food-Trucks mit klassischen oder innovativen Gaumenfreuden. Hier wären definitiv mehrere Fotos für die Auswahl in Frage gekommen. Für den ruhigen Abschluss am gestrigen Morgen sorgte der Brunch auf dem Balkon in der Sonntagssonne.
Wie nun auf bereits erwähnte Mail antworten? Ich habe mich hinreißen lassen und bei der Betrachtung der Fotos auf der Instagram-Seite von seinsart eine verbesserte Punktation angegeben. Auch wenn die Veränderung minimal war, sie erschien in diesem Moment durchaus angemessen. Hat sich tatsächlich meine Einstellung geändert, mein Optimismus gesteigert oder meine Wertschätzung der kleinen Dinge gegenüber vervielfacht? Nein, nein und… vielleicht.
Zugegebenermaßen ist die Teilnahme an einer solchen Aktion schon eine echte Umstellung für jemanden, der zwar multimedial vernetzt, aber dennoch nicht übermäßig involviert ist. Ich hätte zuvor niemals Fotos von einem gedeckten Tisch gemacht! Nun ist ein gewisser Druck nicht zu leugnen, man braucht ja schließlich ein Bild und vor allem will man ja nicht irgendwelche hässlichen Fotos publizieren. So sehr es in den Teilnahmeregeln der 100 Happy Days Seite auch angegeben wird, dass einen bei der Auswahl oder dem Erstellen der Fotos kein Dritter beeinflussen sollte – die Tatsache, dass Big Brother (oder besser, Freunde, Fremde und potenzielle zukünftige Bekannte) das Ergebnis begutachten können und werden, hat ebenfalls einen manipulativen Effekt (der bei der direkten Einsendung an 100 Happy Days wegfallen würde).
So ist die Suche nach dem Glück auch eine kleine Suche nach dem perfekten Foto. Da diese Suche sehr intensiv und zeitraubend ist, habe ich den Anspruch an DAS Foto, welches das Highlight des Tages perfekt einfängt, bereits auf EIN Foto reduziert, das einen schönen Moment einfängt. Doch das zwingt einen immer noch, an vielen Stellen ziemlich genau hinzusehen. Vor allem während der Woche, wenn man in gängigen Rhythmen gefangen ist und gewohnten Verhaltensmustern nachgeht. Eine zumindest minimale Steigerung der Aufmerksamkeit ist daher nicht zu leugnen.
Wer die Aktion ernst nimmt und sich bereits einmal geärgert hat, ein Foto zu früh veröffentlicht zu haben, da er später noch einen besseren Moment erlebt hat, wird tatsächlich den ganzen Tag über mit offenen Augen knipsen, um an dessen Ende den wirklich besten zu wählen. Das hält einen fit und aufmerksam für keine Freuden.
Damit wäre das Fazit vorerst ein Positives: Das Hochladen der Schnappschüsse gleicht einem Tagebucheintrag – mit einem Verbot für negative Gedanken. Vor allem beim Resümee ist man also bis zu einem gewissen Maß geblendet, weil den Fotos nach ja alles ganz schön gewesen ist. Das ist sicher nicht objektiv, aber es fühlt sich gut an.
Das beste Event der Woche – die Kreation und Kultivierung eines neuen Freundschaftsrituals – hat selbstverständlich nichts mit dem Projekt zu tun. Das Ereignis festzuhalten und es letztendlich für sich selbst als „Event der Woche“ du deklarieren, aber schon. Ebenso könnte die Suche nach einer Kinobegleitung und der damit verbundene Abend in lustiger Begleitung eines vollkommen Fremden zwar im Moment des Geschehens geschätzt, aber danach schnell vergessen werden.
Somit ist dem primären Effekt des Erkennen des Happy Moments der sekundäre Effekt des Verewigens und Huldigens hinzuzufügen – alles in seiner relativen Dimension, versteht sich. Eine schöne Gedächtnisstütze ist auf jeden Fall.
So weit, so gut. Nun gibt es nur noch 92 Tage – viel zu entdecken und zu erinnern!
Bild: Alexander Frühbrodt
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