Nach „Gefährliche Ideale“ und „Zum Teufel mit den Stirnrunzlern“ hier anlässlich von Franziskus‘ Aussagen zur Abtreibung der dritte Teil der päpstlichen Trilologie – diesmal zu „Papst und Abtreibung“ im Besonderen und „Sex und Christentum“ im Allgemeinen. Viel Vergnügen!

Als ich vor bald fünf Jahren damit begann, zu gesellschaftlichen und kulturellen Themen in regelmäßigen Abständen eine Kolumne zu verfassen, hätte ich wohl nicht gedacht, dass gleich aus meinem ersten Gegenstand mit der Zeit eine Art Triptychon erwachsen würde. Noch viel weniger hätte ich damit gerechnet, dass das Thema, dem ich mich so häufig widmen würde, der Bischof von Rom sein würde. Als evangelisch erzogener Bayer mit einer in München und Wien genossenen religionswissenschaftlichen Ausbildung verbindet mich mit der katholischen Kirche eine lange und intensive Auseinandersetzung als „Leitkultur“, die kaum zu übersehen, aber spirituell durchaus zu überhören war.

Von außen war das, was ich zahlreichen Gottesdiensten, Gesprächen und Schulstunden entnehmen konnte, exotisch bis verwunderlich. Kein Wunder, verliefen die Gräben zwischen unserer Form aufgeklärten Protestantismus und katholischem Dogma doch annähernd da, wo man als Kind instinktiv die Grenze zwischen Toll und Doof ziehen würde: Beichte, Zölibat, Pillenverbot und Kindesmissbrauch versus kirchlicher Gitarrenunterricht, mit Buddhisten in „Reli“ über Gott philosophieren und coole Pfarrerinnen mit lässigen Sprüchen im Kindergottesdienst.

Als spirituelles Vorbild war Johannes Paul II.
– im Gegensatz zum Dalai Lama – gänzlich ungeeignet.

Alles, was das Christentum positiv erscheinen ließ, hatten „wir“ auch – aber ohne den altmodischen Ballast: Gegen Nächsten- und Feindesliebe ist – im Vergleich zur katholischen Morallehre – auch für Außenstehende wenig auszusetzen. Papst Johannes Paul II. kannten wir als alten Mann, der von einem Auftritt auf den nächsten schwächer und bemitleidenswerter aussah – und von dem man gleichzeitig wusste, dass er irgendwann mal modern und liberal gewesen war.

In meiner Jugend aber sah man in ihm vor allem den Verursacher von Überbevölkerung und epidemischer Ausbreitung von AIDS; schließlich weigerte er sich auch im Alter standhaft, die Pille als Mittel zur Verbesserung der Lebensumstände anzuerkennen – von Kondomen ganz zu schweigen. Als spirituelles Vorbild war ein solcher Mann – im Gegensatz zum Dalai Lama – gänzlich ungeeignet. Da konnte Gloria von Thurn und Taxis noch so oft im Fernsehen Werbung für ihre Kirche machen: Katholizismus, das war für uns Minderheiten eine Art preußisches Christentum – Disziplin, Augen zu und durch. Liebe? Fehlanzeige!

Noch überraschender: ein echter Christ
an der Spitze der römischen Kirche.

Mit dem Wechsel des alten Mannes an der Spitze der Kirche 2005 tat sich für den jungen Dozenten an der Münchener Uni vor allem eins: Der alljährliche „Urbi et Orbi“ Spruch schallte von nun an mit bayerischem Akzent über den Petersplatz in Rom. Nach dem kurzen ersten Stolz („Wir sind Papst!“) begriffen auch die patriotischsten Münchener Protestanten irgendwann, dass „wir“ mit Sicherheit nie Papst sein würden, ja gar nicht sein wollten. Und so folgte einer kurzen Phase der irrationalen Hoffnung eine lange Phase höflichen Desinteresses an den altbekannten Phrasen des Joseph Benedikt Ratzinger.

Bis, ja bis im Jahre 2013 tatsächlich ein Wunder geschah: Ein überraschender Rücktritt im Vatikan beförderte – noch überraschender – einen echten Christen an die Spitze der römischen Kirche. Der Jubel war groß – und Franziskus, wie der Neue sich nannte, eroberte im Sturm selbst das protestantischste Herz. Große Hoffnungen haben die unangenehme Folge, großen Enttäuschungen voranzugehen. Ein beredtes Beispiel für diesen fast zwangsläufigen Effekt ist die Rückverwandlung von „Prinz Amerika“ (BZ) in einen von NSA-Skandalen und Drohnen-Toten erschütterten Präsidenten der USA – höchstens für deutsche Idealisten erster Güte eine wirkliche Überraschung.

Drohnentote wiegen deutlich schwerer
als ungewollt Schwangere.

Als nun vor ein paar Tagen verbreitet wurde, der Papst erlaube im spontan anberaumten „Heiligen Jahr 2016“ die Absolution für abtreibende Frauen, war sie wieder zu beobachten, diese Folge von Begeisterung und Ernüchterung, Flut und Ebbe der medial inszenierten Öffentlichkeit. Im Gegensatz zu Barack Obama ist die öffentliche Meinung auch 2 Jahre nach dem ersten „Buona sera!“ noch immer gut auf Franziskus zu sprechen. Ja, seine Reformen laufen schleppend an. Ja, auch er ist nicht für Homoehe und weibliche Priester – aber come on, er ist authentisch, bescheiden und voller Humor. Nicht dass diese drei Worte nicht auch auf den amerikanischen Präsidenten zutreffen würden – aber wenn es um Imagefragen geht, wiegen Drohnentote deutlich schwerer als ungewollt Schwangere.

Franziskus ist ein Kunststück gelungen, das vielleicht schwerer zu erreichen war als die Reform der katholischen Sexualmoral: Er hat einer 2000 Jahre alten Institution ein menschliches Antlitz verliehen – und das, ohne mit ihren Traditionen zu brechen. Kardinal Jose Bergoglio ist nicht von Gott gewählt worden – sondern von den strategisch denkenden und gut informierten Teilnehmern des Konklave. Sie hatten nie die Absicht, den Katholizismus im Sinne des deutschen Protestantismus zu evangelisieren. Ihr Ziel, eine Ära der intellektuellen Distanz zu beenden, haben sie mit ihrer Wahl vortrefflich erreicht.

Ihr Nein zur Lust gehört zur Grund-DNA dieses Clubs.

Wer darauf hofft, der Papst möge eines Tages gemeinsam mit dem Dalai Lama und Ajatollah Chāmeneʾī den Gottesdienst zum Christopher Street Day leiten, wird vermutlich bis an das Ende seiner Tage von der Wirklichkeit enttäuscht werden. Die katholische Kirche formte und gründete sich vor über 18 Jahrhunderten in Opposition zur herrschenden polytheistischen und relativ weltlich geprägten Kultur. Ihr Nein zur Lust mag aus der Mode gekommen sein – doch es gehört gewissermaßen zur oppositionellen Grund-DNA dieses Clubs. Wer keine Lust auf die Diskriminierung von Frauen und Geschiedenen, auf die Unterdrückung seiner Libido und seiner weltanschaulichen Offenheit hat, muss nur ein einziges Opfer bringen: den Verzicht auf den Segen des Papstes, wie auch immer er heißen möge.

Die katholische Kirche hat im Laufe der letzten drei Jahrhunderte viele ihrer Überzeugungen modifiziert – angefangen von der Anerkennung des heliozentrischen Weltbilds bis zur Aufhebung der Exkommunikation ihrer Schwesterkirchen. Katholiken, die sich mehr erhoffen als kosmetische Veränderungen ihrer Kirche, sollten sich auf eine lehrreiche Aussage Christi besinnen, die uns das Markus-Evangelium so schön überliefert hat:

„Meister, wir wissen, dass du wahrhaftig bist und auf niemand Rücksicht nimmst; denn du siehst die Person der Menschen nicht an, sondern lehrst den Weg Gottes der Wahrheit gemäß. Ist es erlaubt, dem Kaiser die Steuer zu geben, oder nicht? Sollen wir sie geben oder nicht geben?“ Da er aber ihre Heuchelei erkannte, sprach er zu ihnen: „Weshalb versucht ihr mich? Bringt mir einen Denar, damit ich ihn ansehe!“ Da brachten sie einen. Und er sprach zu ihnen: „Wessen ist dieses Bild und die Aufschrift?“ Sie aber sprachen zu ihm: „Des Kaisers!“ Und Jesus antwortete und sprach zu ihnen: „Gebt dem Kaiser, was des Kaisers ist, und Gott, was Gottes ist!“ Und sie verwunderten sich über ihn.

 

Bild: Republic of Korea

Written by Nicolas Flessa

Nicolas Flessa studierte Ägyptologe und Religionswissenschaft. Der Chefredakteur von seinsart drehte Spiel- und Dokumentarfilme und arbeitet heute als freischaffender Autor und Journalist in Berlin.

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