Für den Psychotherapeuten und Meditationslehrer Dr. Sylvester Walch steht und fällt der innere Frieden mit dem Abbau egoistischer Denkens- und Verhaltensmuster. Dass dies kein Wunderwerk ist, sondern eine leicht nachvollziehbare Praxis, zeigt er uns in seiner Reihe »Vom Ego zum Selbst«.
Seit nahezu 40 Jahre unterstütze ich als Psychotherapeut und spiritueller Begleiter Menschen, Krisen zu bewältigen, Lebensprobleme zu lösen, Sinnfragen zu beantworten und ihre spirituelle Entwicklung voranzubringen. Mein Hauptanliegen ist es, das Zusammenwirken von psychischen und spirituellen Prozessen auf dem Wege zur Heilung und spirituellen Entwicklung tiefer zu verstehen, um individuelles und kollektives Wachstum so zu unterstützen, dass bewusstere Menschen in einer besseren Welt leben können.
Wie wir aus Erfahrung wissen, kann dieser Weg nur gelingen, wenn man bei sich selbst beginnt. Wer die Welt ändern will, ohne sich selbst zu erkennen, erleidet in der Regel Schiffbruch. Deshalb sollte die Frage »Wer bin ich wirklich« oder die Aufforderung »Erkenne Dich selbst«, wie uns am Tempeleingang des Orakels von Delphi nahegelegt wird, unsere Suche immer in Gang halten. Es ist ein lebenslanger Prozess der Selbstfindung, denn wer sich auf diesen Weg begibt, findet nur einen Eingang und keinen Ausgang mehr. Darüber hinaus werden wir immer wieder Rückfällen, Hindernissen und Prüfungen ausgesetzt sein, denn es gibt keinen geraden Weg zu höherem Bewusstsein.
Diese Herausforderungen werden manchmal dazu führen, dass wir es bereuen, je damit begonnnen zu haben. Auch kann es vorkommen, dass wir in einem Moment von den sich öffnenden Bewusstseinserfahrungen fasziniert sind, und dann, etwas später, erleben wir genau Gegenteiliges, nämlich Enge und Sinnlosigkeit. Deshalb sollten wir prüfen, ob wir uns auf einen Weg einlassen wollen, der durch solche Transformationskrisen hindurchführt.
Wie ich vorher schon angedeutet habe, werden wir niemals damit fertig sein oder vielleicht sagen können »Jetzt habe ich es geschafft«. Auf einem spirituellen Pfad wird man mit dem System chinesischer Schachteln konfrontiert: Öffnet man eine, kommt die andere hervor. Nun, da ich so ausführlich die möglichen Probleme angesprochen habe, kann unser erster Schritt nur sein, dennoch »Ja« zu sagen, dem allen zuzustimmen und Vertrauen zu investieren. Am Anfang eines Weges zur Bewusstwerdung und inneren Erneuerung ist es deshalb wichtig, eine klare Entscheidung zu treffen.
Halten Sie für einen kurzen Moment inne und atmen etwas tiefer. Wenn Sie möchten, können Sie auch die Augen schließen. Dann sprechen Sie, laut oder leise, den folgenden oder einen von Ihnen gewählten Satz: »Ja, ich bin bereit und entschlossen, den Weg der Bewusstwerdung zu gehen.« In buddhistischen Traditionen gibt es auch für solche Situationen einen selbstverfassten Segensspruch (Mantra), der in diesem Zusammenhang ungefähr so lauten könnte: »Möge es mir gelingen, dem Wege der Bewusstwerdung zu folgen.«
Inneren Frieden finden wir dann, wenn wir destruktive Lebensmuster erkennen und überwinden, Egoismen auflösen und unsere Gedankenwelt zu beruhigen beginnen. Dabei werden schrittweise Schattenaspekte und andere dissoziierte seelische Aspekte integriert, denn nur auf guten seelischen Fundamenten können verantwortungsvolle Wahrhaftigkeit, konstruktive Konfliktfähigkeit und echtes Mitgefühl entstehen. Darüber hinaus bringt die psychische Erneuerung einen fruchtbaren Boden für die segensreiche Wirkung von spirituellen Übungen.
Der Königsweg aller spirituellen Traditionen ist die Meditation. Jeder Tag, der mit einer Stille beginnt, ist ein gewonnener Tag. Dabei ist zu beachten, dass sich der Meditierende keine zu hohen Ziele steckt, eine gute körperliche Position einnimmt, den Atem frei fließen lässt und eine regelmäßige Praxis aufbaut.
Probieren Sie bis zur nächsten Folge, regelmäßig innezuhalten. Falls Sie Ihren eigenen Meditationsstil haben, können Sie den gerne fortführen. Ansonsten nehmen Sie eine aufrecht und gleichzeitig komfortable Sitzposition ein. Dann atmen Sie tief und rund. Nichts weiter und das für 15 Minuten pro Tag. Niemand sollte sich dabei jedoch von anfänglichen Schwierigkeiten beirren lassen. Wer nämlich nach innen hört, wird zunächst auf laute Geräusche, körperliche Spannungen und Unruhe treffen. Das bedeutet nur, dass die Sinne wach werden. Daher gilt: Einfach geschehen lassen.
Foto: Takmeomeo