Willkommen auf einem Rundgang durch die außergewöhnliche Amulett-Sammlung des Giuseppe Bellucci im archäologischen Museum von Umbrien.
Eigentlich sollte ich Ihnen das kleine Städtchen Perugia schon aufgrund seiner atemberaubenden Schönheit ans Herz legen. An den Hang eines Berges geschmiegt liegt die alte etruskische Siedlung wie eine gestrandete Nixe inmitten der umbrischen Landschaft.
Wer Lust hat, den Trip in jene Stadt, die in ihrer langen und wechselvollen Geschichte nicht nur Augustus, sondern auch dem Papst die Stirn geboten hat, möglichst stilecht einzuleiten, dem empfehle ich die gemütliche Fahrt mit dem Regionalzug von Florenz über Bologna. Vom Hauptbahnhof aus ist es mit dem Bus nur ein Katzensprung ins Herz
des historischen Zentrums, welches hoch über dem modernen Stadtteil liegt. Um die Oberstadt zu Fuß zu erobern, empfehle ich, bei der kleinen Bahnstation Sant‘Anna aus dem Bus zu steigen und die erste von zahlreichen Felsenrolltreppen Richtung Corso Cavour zu erklimmen.
Bevor Sie sich nun von hier aus ins eigentliche Herz der Stadt begeben (das man
seit der Antike zwischen der Piazza Italia und der Cattedrale di San Lorenzo verorten
kann), möchte ich Sie zum Bleiben auf dem Corso animieren, um einen ehemaligen Ort der Stille und der Meditation kennenzulernen, der nicht nur wegen seiner Architektur
von besonderem Interesse ist. Gleich neben der minimalistisch dekorierten Kirche San Domenico liegt ein altes Dominikanerkloster, in dessen Räumen seit 1948 das Archäologische Nationalmuseum der Region Umbrien untergebracht ist. Neben zahlreichen steinzeitlichen, etruskischen und römischen Artefakten befindet sich hier auch eine vollständig erhaltene und begehbare Grabanlage aus den ersten vorchristlichen Jahrhunderten, errichtet für die vornehme etruskische Familie Cai Cutu. Das 1983 in Perugia freigelegte Grab enthielt neben zahlreichen, prächtig geschmückten Urnen in Kastenform auch Waffen, Schmuck und Mobiliar der hier Bestatteten.
Den eigentlichen Höhepunkt des musealen Ensembles bildet eine außergewöhnliche Ausstellung, die in dieser Weise in Europa einmalig sein dürfte: die Amulett-Sammlung des Giuseppe Bellucci, ein wahres Mekka für alle Fans der magischen Künste.
Der primitive Magier?
Der Gründer und Namenspatron dieser Sammlung war nicht nur der Rektor des lokalen Instituts für organische Chemie, sondern zugleich auch ein leidenschaftlicher Paläoethnologe. Belluccis († 1921) besonderes Interesse galt den magischen Traditionen seiner Heimat, die er – wie es zu seiner Zeit üblich war – als Überbleibsel einer primitiven, vorchristlichen Religiosität betrachtete, die nun vor allem von der ungebildeten Landbevölkerung praktiziert würden.
Sein umfassendes Werk – bekannt geworden ist vor allem der 1907 erschienene Band „Primitiver Fetischismus und seine Adaption in Italien“ – ist vor allem als Quellensammlung zahlreicher Zaubersprüche, Praktiken und Erzählungen von Bedeutung. Moderne Ethnologen wie Sabina Magliocco haben längst nachweisen können, dass magische Praktiken nicht etwa auf religiöse oder kulturelle Unbildung (oder gar Unmoral) zurückzuführen sind, sondern vielmehr auf bestimmte soziale Bedingungen, die magische Praktiken beförderten oder gar erforderlich machten.
Kleine geschlossene Gesellschaften mit starken sozialen Spannungen und nachbarschaftlicher Missgunst gelten als ebenso fruchtbar für magische Aktivitäten wie eine starke Abhängigkeit von den Unbilden der Witterung durch Tätigkeiten in der Landwirtschaft.
Für Heilung und Kindersegen
So überrascht es nicht, dass ein Großteil der in der Sammlung Bellucci vorhandenen Amulette und magischen Werkzeuge in Situationen Verwendung fanden, die den oben genannten Lebenssituationen entspringen. Die Vitrinen, die bislang unglücklicherweise nur auf Italienisch beschriftet sind, gruppieren die präsentierten Objekte nach ihrem Verwendungszweck.
Den Anfang machen Amulette, die vor Blitzen und Hagel bewahren sollen. Darauf folgen Amulette, die mit den wichtigsten Stationen des menschlichen Lebens in Verbindung stehen: der Suche nach einem geeigneten Lebenspartner, der Verlobung und der Hochzeit, aber auch der Schwangerschaft, der Geburt und der frühen Kindheit der eigenen Nachkommen.
Weitere Vitrinen widmen sich dem Thema Schutz (z. B. vor dem bösen Blick), dem Thema Gesundheit bzw. Heilung sowie allgemeinen Glücksbringern.
Ein eigener Abschnitt der Sammlung befasst sich mit Amuletten, die italienische Soldaten während des Ersten Weltkriegs getragen haben – Anschauungsobjekte des zentralen Forschungsgegenstands des Sammlungsgründers Bellucci. Einen besonderen Reiz der Präsentation stellen die vergleichenden Vitrinen dar, die antike und zeitgenössische Amulette miteinander in Verbindung setzen.
Wer seine Augen über diese Zusammenstellung wandern lässt, wird verblüfft sein, wie
ähnlich sich Fruchtbarkeitsamulette sind, egal, ob sie nun aus Nordafrika oder Europa, aus der Antike oder dem 19. Jahrhundert stammen.
Die Materialien der magischen Objekte sind nicht weniger faszinierend: Neben Holz und gewöhnlichen Kieselsteinen finden sich auch zahlreiche Gegenstände aus Muscheln, Korallen, Halbedelsteinen, Knochen und Zähnen. Die Sammlung führt anschaulich eine alte Weisheit magischer Traditionen vor Augen: Nicht nur die Form, auch das Material war von entscheidender Bedeutung für die Wirksamkeit eines Amuletts.
Dieses komplexe System, das die Herstellung von Amuletten mit Zaubersprüchen und kalendarisch-astrologischem Wissen verknüpfte, ist allein schon Beweis genug, dass Magie beileibe kein Zeugnis einer „primitiven Gesellschaft“ ist.
Die letzten Vitrinen der Sammlung widerlegen ein weiteres Vorurteil: den Gegensatz von Magie und Religion. Zahlreiche Objekte zitieren Inhalte der christlichen Religion und belegen anschaulich, wie wirksam und unaufgeregt kirchliche und magische Rituale über Jahrhunderte hinweg miteinander kombiniert werden konnten.
Titelbild: Ciclista (CC BY-SA 3.0); Bilder im Text: Nicolas Flessa