Donald Trump wird der 45. Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika. Seit diese Information gewiss ist, überschlagen sich die deutschen Medien darin, kommendes Unheil an die Wand zu malen. Aus „Mussolini modern“ (ZEIT ONLINE, 4.6.16) wurde nun sogar das „Ende der Aufklärung“ (ZEIT ONLINE, 9.11.16). Verstört nehme ich meine Brille ab und reibe mir die Augen. Was ist da los im Journalismus? Oder ist das ganz einfach das logische Gegenstück zu 2008, da Barack Obama noch als „Prinz Amerika“ galt? Nach dem Messias jetzt also der Antichrist?
Ja, auch ich gehe davon aus, dass Obama der sympathischere Mann ist. Er ist gebildet, besitzt einen trockenen Humor, Charme und jene Coolness, die heute mehr denn je gefragt ist. Trump ist in jeder dieser Eigenschaften so ziemlich das Gegenteil. Er ist schlau, hitzköpfig, direkt und ganz und gar uncool – typische Markenzeichen eines Mannes, der von seiner Mission überzeugt ist und daher nicht selten die nötige Distanz für Eigenironie vermissen lässt. Donald Trump ist ein Macho und ein Materialist. Eines ist er nicht: ein Ideologe.
Donald Trump ist ein Macho und ein Materialist,
aber kein Ideologe.
Wenn nun eine Mehrheit der Wahlmänner im Electoral College für Donald Trump stimmen wird, geht deshalb nicht die Welt unter. Daran ändern auch die gebetsmühlenartig vorgetragenen Beteuerungen nichts, dass mit Donald Trump ein rassistischer, frauenverachtender und homophober Unhold ins Weiße Haus ziehen wird, den man irgendwie demokratisch zu belehren habe. Ich möchte es hier einmal ganz klar auf den Punkt bringen: Wer bei Donald Trump reagiert, als wäre Ajatollah Chomeini persönlich zum mächtigsten Mann der Welt aufgestiegen, begibt sich auf glattes Eis. Erinnern wir uns an ein altes griechisches Märchen mit dem Titel „Der Schäfer und der Wolf“: Wer so oft zur Unzeit um Hilfe ruft, wird im Moment wahrer Bedrohung nicht mehr gehört.
Ein weiterer Punkt, der mich verwundert, ist die Interpretation des Wahlergebnisses. Wer die Hälfte des amerikanischen Volkes für fremdenfeindliche und ungebildete Rüpel mit irrationalen Abstiegsängsten hält, war 2008 wohl auch der Meinung, knapp über 50% desselben Volkes sei eine mulikulturelle Bildungselite mit großer Liebe für sexuelle und ethnische Minderheiten. Das eine wie das andere ist natürlich Unsinn. Barack Obama wurde gewählt, weil er Wandel versprach – unabhängig davon, wofür er im Detail genau stand. Ähnlich verhält es sich jetzt: Donald Trump steht – im Gegensatz zu Hillary Clinton – trotz seiner Millionen (oder Milliarden), die ihn eindeutig als Mitglied der finanziellen Elite seines Landes ausweisen, für einen Wandel in der Politik.
Wer so oft zur Unzeit um Hilfe ruft, wird im Moment wahrer Bedrohung nicht mehr gehört.
Die Nicht-Wahl Hillary Clintons war das Signal einer Mehrheit der Wähler, die nicht erwarteten, dass sich unter ihr als Präsidentin wesentliche Verbesserungen einstellen würden. Diese Diagnose ist zunächst einmal nicht verwunderlich. Wer mit der Außenpolitik George W. Bushs unzufrieden war, konnte 2008 kaum John McCain wählen; wer Obamas Wirtschaftspolitik mit Argwohn betrachtet, kann nicht seine Parteifreundin und ehemalige Ministerin zur Nachfolgerin küren. Und hier kommen wir zu einer bitteren Wahrheit, die weit über die USA hinaus für politische Sprengkraft sorgen wird: Der Grund für die Unzufriedenheit ist eben nicht ideologisch bedingt, sondern ökonomisch. Nicht die Homoehe ist der Stein des Anstoßes, sondern die Erkenntnis, dass Leistung allein sich in dieser Art von Wirtschaftssystem zunehmend nicht mehr lohnt – bzw. gar nicht erst abgefragt wird.
Die Unzufriedenheit der Wähler mit ihren Regierungen in fast allen westlichen Staaten ist nicht das Ergebnis einer grassierenden Verdummung, wie es in vielen Kommentaren – mal mehr, mal weniger verbrämt – den Anschein zu haben scheint. Die Meinungen von weiten Teilen der journalistischen und politschen Elite, man habe nicht genug aufgeklärt, so dass immer und immer wieder die falschen Parteien gewählt würden, vermittelt das Bild eines unmündigen und triebgesteuerten Wählers, der alleine kaum in der Lage ist, die Entwicklungen der Welt zu reflektieren. Dieser Mensch besitzt nur eines, eine Art tierische Emotionalität, die egoistisch und selbstherrlich alles wegbeißen will, das nicht zu ihm gehört.
Nicht die Homoehe ist der Stein des Anstoßes, sondern die Erkenntnis, dass Leistung allein sich nicht mehr lohnt.
Welches Bild vom eigenen Souverän vermittelt diese Küchenanthropologie? Wo ist es hin, das Wissen um die angeborene Fähigkeit des Menschen zur Empathie, zur Gemeinschaftsbildung, zur Erkenntnis? Ich wehre mich gegen diese Art des Kulturpessimismus, der selbst das „Ende der Aufklärung“ einzuleiten scheint. Ich wehre mich gegen diese Art der Bevormundung. Ich wehre mich gegen eine Informationskultur, die zunehmend in Propaganda und Gegenpropaganda zerfällt. Wo ist die Vielstimmigkeit in unserer eigenen Presse, die wir in Staaten wie Russland oder der Türkei zu Recht einfordern? Wie kann es sein, dass wir jeden Tag mit einer neuen Redaktionsschließung von Erdoğan aufmachen, ohne zu bemerken, dass man bei uns gar keine Redaktionen mehr schließen müsste, da sie sich längst selbst ihrer Freiheit berauben, die Dinge auch ganz anders zu sehen?
Ich möchte diesen Artikel mit einem Bild beenden. In der Wahlnacht saß ich – wie so viele Europäer auch – vor dem Bildschirm und verfolgte die Auszählung live bei CNN. „Noch ist es nicht verloren“, war der Duktus der Moderatoren, die Staat um Staat an Donald Trump fallen sahen und darüber empörter reagierten als über die Toten im syrischen Bürgerkrieg. Im Hintergrund des Studios war ein Bild eingeblendet, das die beiden Wahlkämpfer zeigte. Eine Freundin, die parallel mit mir die Auszählung ansah, schrieb mir über WhatsApp: „Fröhliches Mädchen gegen Kinderschänder“. Wer angesichts solch tendenziöser Bilder (und Berichte) nicht ins Zweifeln gerät, leidet vielleicht selbst an grassierender Verdummung. Speerspitzen der Demokratie sehen jedenfalls anders aus.
Bilder: Gage Skidmore (Titel), CNN (Clinton/Trump)
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