Ich schreibe diese Kolumne im Wartezimmer meines Augenarztes. Eine heftige Augenlidentzündung hat mich pünktlich zum Anbruch des Wochenendes niedergestreckt. Drei Tage Bettruhe, heiße Wattepads und regelmäßige Augenspülungen liegen hinter mir. Geholfen hat es wenig; noch immer sehe ich aus wie ein Laienboxer mit einer ausgemachten Defensivschwäche. Und das, wo nächste Woche so viel ansteht wie lange nicht! Mein Auge kichert verstohlen. Eben deshalb, entgegnet es mir gelassen. Höchste Zeit zu entspannen!

Mein Augenarzt liegt direkt an der Sonnenallee. Wenn ich Freunde aus dem Orient zu Besuch habe, bringe ich sie immer hierher. Sharia es-Schams, nenne ich sie dann. Wegen der zahlreichen arabischen Leuchtreklamen und Schilder, die sie gerade bei Nacht wie einen Stadtteil von Alexandria oder Beirut wirken lassen. Das Wartezimmer ist entsprechend gemischt. Als ich um die Ecke komme und unverhofft in ein proppenvoll gestopftes Stuhllabyrinth gerate, muss mir meine Überraschung ins lädierte Gesicht geschrieben gewesen sein. Schallendes Gelächter schwappt mir entgegen. Sogleich ist mein Selbstmitleid verflogen. Schüchtern lächle ich zurück, als mir eine der Damen den einzig verbliebenen Sitz – einen Kinderstuhl – anbietet.

Ich muss an einen Witz aus meiner Kindheit denken: »Fritzchen hört seinen Vater im Wirtshaus über die Leute am Nachbartisch schimpfen. ‚Überall diese Ausländer!‘ Neugierig geworden nähert er sich den dunkelhaarigen Männern und hört ihnen für eine Weile zu. Zurück beim Vater sagt er: ‚Das sind gar keine Ausländer, Papa!‘ Der Vater sieht ihn verwundert an. ‚Wie kommst Du denn darauf?‘ Fritzchen wartet ein paar Augenblicke, dann zeigt er auf die gut gelaunte Gruppe: ‚Die lachen deutsch!‘«

Lachen ist vielleicht die schönste Sprache der Welt. Nicht nur, weil es der Ausdruck (mit)geteilter Freude ist, sondern auch, weil sie uns auf die Grenzenlosigkeit menschlicher Verbundenheit aufmerksam macht. Lache, dann lacht Dir die Welt, lautete seit jeher der Wahlspruch meiner Mutter. Ohne es zu wissen, hat sie mir damit einen Schlüssel zur Erforschung der Welt an die Hand gegeben, der mir weitaus mehr Herzen geöffnet hat als die besten Sprachkurse und Kulturführer ihrer Zunft.

Lache, dann lacht Dir die Welt. Was klingt wie der Ausdruck naiver Weltvergessenheit, ist vielmehr eine Weisheit höchst sozialer Natur. Ich kenne zumindest kein anderes Rezept, dem es innerhalb von Sekunden möglich wäre, acht leidende Einzelschicksale aus verschiedenen Sprachräumen in eine so spürbare Gemeinschaft zu verwandeln wie dieses ehrliche, spontane Lachen. Obwohl die kleinen Gespräche in gedämpftem Arabisch, Albanisch, Russisch oder Deutsch schon bald wieder einsetzten, fühlten sich alle Anwesenden für den Rest ihrer Gemeinschaft herzlich verbunden. Wann immer einer der Behandelten zurück zum Abholen seiner Garderobe kam, wünschte er der gesamten Runde in der gemeinsamen Sprache Deutsch eine aufrichtig gemeinte Gute Besserung, was von allen Anwesenden mit Freude erwidert wurde.

Humor und Völkerverständigung sind nicht nur keine Gegensätze, sondern vermutlich sogar das vielversprechendste Paar der Zukunft. Nicht umsonst gilt der jüdische Witz als Crème de la Crème der interreligiösen Humoristik. Diese in Jahrtausenden von Anfeindung und Ausgrenzung gestählte Wunderwaffe gegen die Frustration belegt anschaulich, wie überlebensnotwendig und heilsam die gelegentliche Relativierung der eigenen Überzeugungen sein kann. »Ein Jude will beim Rabbi Rat holen. Drei Stunden lang schwätzt er, dann fragt er: ‚Rabbi, was soll ich tun?‘ ‚Du sollst dich taufen lassen‘, rät der Rabbi. Der Jude ist beleidigt: ‚Rabbi! Was soll das?!‘ 􀀀Der Rabbi: ‚Dann kaust du in Zukunft dem Pfarrer den Kopf ab und nicht mir!‘«

Das Lachen, ein Geschenk des Himmels, um den Menschen das Leben leichter zu machen? Wer im Französischen ein Lachen als wirklich schallend und mitreißend bezeichnen will, tut dies jedenfalls unter Hinweis auf die olympischen Götter mit der Bezeichnung rire homérique – »homerisches Gelächter«. Der Religionswissenschaftler Harald-Alexander Korp entwickelte in seinem Buch »Lachende Propheten« sogar eine eigene »Gelo-Theologie« – eine Theologie des Lachens. Gotteslästerung? Wohl kaum. Wer je ein Bild des lachenden Dalai Lama gesehen hat, ahnt, wie nah sich menschliche Heiterkeit und ethisches Gewissen zuweilen sind. Nicht selten vermittelt der Pop-Star unter den spirituellen Führern seine Botschaften über witzig anmutende Geschichten. »Falls Du glaubst, dass Du zu klein bist, um etwas zu bewirken, dann versuch mal zu schlafen, wenn ein Moskito im Zimmer ist…«

Lachen ist nicht nur eine Brücke zu den Menschen, sondern auch eine Leiter in den Himmel. Das wusste auch der oft zu Unrecht als humorlos verschriene Prophet Mohammed, dem folgender Ratschlag zugeschrieben wird: »Erfrischt die Herzen von Zeit zu Zeit, denn müde Herzen werden blind.« Wann immer ich die verzerrten Gesichter der wütenden Fundamentalisten sehe, fühle ich mich denn auch eher an »Sieg Heil!« denn an die Heilsbotschaften unserer spirituellen Traditionen erinnert. Und so ist der Humor eines religiösen Mannes immer auch ein Hinweis auf den Grad seiner Erleuchtung.

Wie sagte doch einst der Großmeister des englischen Humors, Oscar Wilde? »Die Menschheit nimmt sich selbst zu ernst. Das ist die Erbsünde der Welt. Hätte der Höhlenmensch zu lachen verstanden, wäre die Weltgeschichte anders verlaufen.«

 

Bild: jungminleee

Written by Nicolas Flessa

Nicolas Flessa studierte Ägyptologe und Religionswissenschaft. Der Chefredakteur von seinsart drehte Spiel- und Dokumentarfilme und arbeitet heute als freischaffender Autor und Journalist in Berlin.

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