Am morgigen Tag verhandelt der Deutsche Bundestag über zwei Anträge anlässlich der systematischen Ermordung der armenischen Bevölkerung Anatoliens durch die osmanische Regierung in den Jahren 1915/1916.
Der von der Türkei heftig zurückgewiesene Passus lautet: „Der Deutsche Bundestag bewertet die von der jungtürkischen Regierung des Osmanischen Reichs systematisch geplante und organisierte Vernichtung der armenischen Bevölkerung als Völkermord nach der UN-Konvention über die Bestrafung und Verhütung des Völkermords von 1948.”

An die 1,5 Millionen Menschen waren bei diesem ersten Genozid des 20. Jahrhunderts ums Leben gekommen. Die damalige deutsche Regierung deckte das Grauen bewusst – aus kriegstaktischen Gründen: „Unser einziges Ziel ist, die Türkei bis zum Ende des Krieges an unserer Seite zu halten, gleichgültig ob darüber Armenier zugrunde gehen oder nicht,” so der damalige Kanzler von Bethmann Hollweg.
Nur 20 Jahre später verteidigte Adolf Hitler die Gewalt gegen polnische Zivilisten auch mit der rhetorischen Frage: „Wer redet heute noch von der Vernichtung der Armenier?” Das Argument der Antragsgegner, man solle es sich über ein Detail der Geschichte nicht mit den Türken verscherzen, ist daher nicht nur politisch bedenklich, sondern auch höchst geschichtsvergessen.

Die Flüchtlingskrise ist kein Weltkrieg. Und doch steht der Verdacht im Raum, ein neuerliches deutsches Schweigen aus diplomatischen Gründen würde wieder nicht zu jenem Sieg führen, den die Verantwortlichen damit zu erzielen gedächten. Höchste Zeit, die Dinge beim Namen zu nennen.

Bildredaktion: Lévon Nordiguian (Beirut)
Ähnliche Artikel:
“Was zählt, ist, wo man hinmöchte” | Interview mit Cem Özdemir
“Das waren die Russen!” | Anti-armenische Demonstrationen am Brandenburger Tor