Alles schien wie immer zu sein. Der rote Teppich ausgerollt, Hunderte von Fotografen und Fans, die auf die Stars der Filmbranche warteten. Aber dann war es doch etwas anders: Fast alle aus der Filmbranche erschienen zur Eröffnung der 68. Berliner Filmfestspiele in Schwarz, zumindest in dunklen Roben, um ein Signal gegen Sexismus und Machtmissbrauch zu setzen.
Kommt es nicht eher darauf an, wie sich die Geschlechter zueinander verhalten als auf die Farbe der Roben und des ausgerollten Teppichs, über den die Stars laufen? Zu diesem Thema hat der Festivaldirektor Dieter Kosslick mehrere Gespräche angesagt.
Die politischen Filme nehmen denn auch in diesem Jahr einen besonders breiten Raum ein. Zum Teil sind in diesen Werken Vergangenheit und Gegenwart miteinander verquickt.
Dazu gehören Filme wie „Transit“ von Christian Petzold, der die Flucht von Deutschen im Dritten Reich aus Marseille schildert. Der Film basiert auf Anna Seghers‘ im Exil verfassten gleichnamigem Roman. Die Figuren bewegen sich jedoch im heutigen Marseille. Geflüchtete von damals treffen auf Geflüchtete von heute, die Geschichte trifft auf die Gegenwart. Damals wie heute geht es um Fragen von Leben und Tod, um den Verlust der Identität; soll man bleiben oder gehen, hat man als Flüchtling eine Zukunft?
Zu den politischen Filmen, die thematisch bis in die Gegenwart hineinreichen, gehört auch der Film „The Silence of Others“ von Almudena Carracedo Bahar. Das 1977 beschlossene Amnestiegesetz verbietet bis heute jede Strafverfolgung der unter Franco stattgefundenen Diktaturverbrechen. Investigativ zeichnet der Film ein Abbild einer zwischen Vergessen und Vergangenheitsbewältigung gespaltenen Gesellschaft.
Zu nennen wären hier auch der Dokumentarfilm „Eldorado“ von Markus Imhoof und „Styx“ von Wolfgang Fischer. Letzterer schickt der Flüchtlingsproblematik eine dreißigminütige Ferien-Segeltour voraus, was etwas langweilig anmutet und entbehrlich gewesen wäre.
Neben diesen politischen Filmen gibt es einige herausragende Spielfilme wie „Profile“ von Timur Bekmambetov, der mit seinem Film eine ganz neue Filmsprache erfindet. Ein Thriller, der sich komplett auf einem Computerbildschirm abspielt und hervorragend funktioniert.
Ebenso gelungen ist „Rückenwind von vorn“ von Philipp Eichholtz. Es geht um eine Paarbeziehung, in der die Bedürfnisse der Protagonistin auf der Strecke bleiben, sie dieses aber noch rechtzeitig erkennt und eine Kehrtwende in ihrem Leben einschlägt, lebendig, frisch und voller Humor erzählt.
Man fragt sich allerdings, wie einige der Filme in den Wettbewerb gelangen, wie z.B. „Eva“ von Benoit Jacquot. Erhellend, inhaltlich dicht und unterhaltsam sind drei Panorama-Dokumentarfilme, „Generation Wealth“, „Partisan“ und „Shut up and play the Piano“. In „Generation Wealth“ schildert die amerikanische Fotografin und Filmemacherin Laura Greenfield den kulturellen Verfall der USA in den letzten 25 Jahren und macht deutlich, dass Trump nur ein Symptom dieser Entwicklung ist und von daher seine Wahl zum Präsidenten eigentlich nicht besonders verwunderlich.
25 Jahre hat sie die Kameralinse auf Menschen in ihrer grenzenlosen Gier nach Reichtum, Status und Schönheit gerichtet nach dem Lebensmotto „Wenn viel gut ist, dann ist mehr besser“. Tröstlich am Ende des Films ist, dass wenigstens einige dieser „American Dreamer“ den Wahn- und Unsinn dieser Jagd nach Materiellem erkannt haben und versuchen, ihrem Leben eine andere, gesündere Richtung zu geben.
Ein Dokument zur Teater- und Berlingeschichte ist der Film „Partisan“ von Lutz Pehnert, Matthias Ehlert und Adama Ulrich. Es geht um 25 Jahre Entwicklungsgeschichte der Volksbühne am Rosa-Luxemburg-Platz unter ihrem Intendanten Frank Castorf, von 1992-2017. Im vereinten Berlin entstanden neue künstlerische Freiräume, das Publikum in Ostberlin der Nachwendezeit ließ sich von den radikalen Inszenierungen und Theatermarathons herausfordern und begeistern. Der Film zeigt, wie innovativ das Theater in dieser Zeit war, wie SchauspielerInnen wie Henry Hübchen, Sophie Rois, Martin Wuttke und Herbert Fritsch für dieses Theater brannten. Trotz der schändlichen Entscheidung bei der Wahl des neuen Intendaten ist der Film kein Abschiedsfilm, keine Elegie, sondern eher ein Film, aus dem man produktive Energie mitnehmen sollte. Er ist auch ein Beispiel für die Sehnsucht der Menschen nach der Gruppe, was an der Volksbühne 25 Jahre so wundervoll funktioniert hat.
Ein weiterer Dokumentarfilm, der den kulturellen Wandel nicht nur in Berlin, sondern in der ganzen Welt spiegelt, ist der Film „Shut up and play the Piano“ von Philipp Jedicke. Der Regisseur stellt das Porträt des eklektischen Musikers Chilly Gonzales vor. Der Kanadier, bürgerlich Jason Charles Beck, startet als Elektro-Rapper, erklärt sich bald zum Präsidenten des Berliner Undergrounds, um schließlich mit seinen Piano Recitals und Performances die bürgerlichen Konzertsäle zu füllen.
Welch eine Parallele zu Berlin: Während der Glamour der Welt sich gerade auf die vormals so innovative Volksbühne überträgt, wird Chilly Gonzales vom kreativen und hartarbeitendem Vollblut-Entertainer im Bademantel zu einem Musiker mit Auftritten mit großem Orchester in Konzertsälen.
Durch den Film zieht sich als roter Faden ein längeres Gespräch mit der Schriftstellerin Sibylle Berg.
Hingehen, es lohnt sich!
Bild: @sebaso CCBYSA3.0
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