Wenn voraussichtlich am Montag in Wien die neue Regierung angelobt wird, so hat Österreich dem großen Bruder im Norden gleich in doppelter Hinsicht etwas voraus. Erstens: Es verfügt über eine Regierung – und das sogar nach vorgezogenen Neuwahlen, in quasi turbulenteren Umständen. Zweitens: Die Rechtspopulisten sitzen nicht nur im Parlament – sie stellen ab diesem Jahr sogar den Vizekanzler.

Als Jörg Haiders FPÖ vor siebzehn Jahren das erste Mal vor dieser Schwelle stand, erhob sich in ganz Europa ein politisches Geschrei. Sanktionen wurden verhängt, und das, obwohl der umstrittene Scharfmacher Haider nicht einmal selbst Mitglied der Bundesregierung wurde. Der Wandel der FPÖ von einer liberalen zu einer stramm nationalkonservativen Partei ist maßgeblich dem Kärntner Politik-Talent Haider zu verdanken; dass ihre Einbindung in eine nationale Regierung heute nicht einmal ein Achselzucken in der EU hervorruft aber, ist das Verdienst seines einstigen Zöglings und späteren Kontrahenten Heinz-Christian Strache.

Unvergesslich der Schlagabtausch von Haider und Strache im Rahmen der Nationalratswahlen 2008, kurz vor dem Tod des damaligen Landeshauptmannes Haider. Letzterer war es gewesen, der seine FPÖ mitten in der Regierungsbeteiligung im Bund verlassen hatte und die Minister kurzerhand in eine neue Partei mitnahm. Strache, dessen Chance gekommen war, fegte die Scherben des rechten Bruderkriegs zusammen und führte die FPÖ trotz Verlust der Regierungsbeteiligung in neue, schwindelerregende Höhen. Strache war es, der sich in diesem legendären Gespräch entgültig von seinem politischen Ziehvater emanzipierte, dem er vor laufender Kamera sogar das „Du“ verweigerte.

HC Straches Ernennung zum Vizekanzler ist weder ein Zufall noch ein Unfall der Geschichte. Kaum ein europäischer Spitzenpolitiker hat so lange an seiner Beförderung gefeilt wie der ehemalige Zahntechniker. Wie im Falle des zukünftigen Bundeskanzlers Sebastian Kurz sind es vor allem Geduld und Kalkül, man könnte auch sagen: Machtbewusstsein und politisches Talent, die den Chef der Freiheitlichen in eines der wichtigsten Ämter des Staates gespült haben. Er hat von Haider weit mehr als das Fischen am rechten Rand gelernt – er hat auch ganz genau hingesehen, was dessen Scheitern, Sturz und frühen Tod verursacht hat.

Straches FPÖ hat die Gesellschaft um ihn herum verändert. Der ehemalige Burschenschaftler und Wehrsportler kommt nicht mehr gegen den Willen der Mehrheit an die Macht, sondern mit dem Placet der Elite und der meisten Österreicher. Sein Schachzug, den mehrheitsfähigen Norbert Hofer letztes Jahr als Kandidaten für das Amt des Bundespräsidenten aufzustellen, hat sich als letzter Schritt auf dem eigenen Weg in die Regierungsverantwortung erwiesen. Trotz der breiten Front, die ein freiheitliches Staatsoberhaupt im zweiten Anlauf und denkbar knapp verhindert hat, ist Straches Saat aufgegangen: lieber mal die FPÖ ans Ruder zu lassen, als einfach weiter so!

Es ist kein Zufall, dass sich Frauke Petry und HC Strache so gut verstanden. Nicht nur politisch teilten sie das Ideal, ihre Parteien vom rechten Rand in die Mitte der Gesellschaft zu führen – oder weniger pathetisch ausgedrückt: an den Kabinettstisch. Diese machtbewusste Haltung kostete die deutsche Partnerin des nationalen Duos bekanntlich nicht nur ihren Posten an der Spitze der AfD, sondern auch noch ihre Glaubwürdigkeit. HC Strache hingegen steht nun am Zenith seiner Macht; geht er mit ihr so sorgsam um wie bislang mit seiner Gier nach Macht, wird er es vielleicht noch weiter bringen.

Sebastian Kurz hat seine neuangemalte Partei der Konservativen mit Straches Themen in Richtung Kanzleramt geführt. Es liegt nun an dem jüngsten Regierungschef Europas, ob er in den nächsten Jahren vom Steigbügelhalter zum Reiter aufsteigen will. An dieser Herausforderung sind vor ihm schon ganz andere Kanzler gescheitert, und das auf beiden Seiten der Alpen.

 

Bild: Gregor Tatschl

 

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Written by Nicolas Flessa

Nicolas Flessa studierte Ägyptologe und Religionswissenschaft. Der Chefredakteur von seinsart drehte Spiel- und Dokumentarfilme und arbeitet heute als freischaffender Autor und Journalist in Berlin.

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