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In zwei Tagen eröffnen die Spiele der XXXI. Olympiade in Rio de Janeiro, der ersten südamerikanischen Gastgeberin überhaupt.
2792 Jahre zuvor fanden im Heiligtum des Zeus von Olympia die ersten panhellenischen Spiele statt. Damals wurde der Beginn der Spiele übrigens noch astronomisch errechnet: Zwei Tage vor dem zweiten oder dritten Vollmond nach der Sommersonnenwende – also meist im August – traf sich die griechische Sportgemeinde zu den größten friedlichen Wettkämpfen der Welt.
Beeindruckende 1169 Jahre lang bildeten die Olympischen Spiele das rhythmische Rückgrat der antiken Kultur. Die Olympioniken waren die Stars ihrer Zeit und gelangten durch ihre Siege zu großen materiellen Vorteilen. Erst der christliche Kaiser Theodosius erließ 394 n. Chr. ein Edikt zum Verbot der heidnischen Umtriebe. Wie neueste Ausgrabungen nahelegen, feierten einige hartgesottene Fans trotzdem bis ins 6. Jahrhundert weiter.
1500 Jahre nach dem offiziellen Ende der antiken Spiele erfüllte der französische Historiker und Sportfunktionär Pierre de Coubertin die Olympische Idee mit neuem Leben. Die 1766 wieder entdeckte antike Stätte wurde damals gerade von deutschen Archäologen systematisch freigelegt. Stellt man die modernen Spiele in eine Tradition mit den antiken Wettkämpfen, beginnt diesen Sommer sogar schon die 324. Olympiade.
Schon in der Antike stand der Sport im Zentrum der allgemeinen Aufmerksamkeit, doch dem Wesen nach handelte es sich bei den Spielen um eine religiöse Feier. Ähnlich dem Theater (das in den Kult des Dionysos eingebunden war) verbanden sich bei den Olympischen Spielen Sport und Kult, Weihehandlung und Wettstreit. So durfte zum Beispiel der Sieger des Wettlaufs das Feuer auf dem Altar des Zeus entfachen – eine besondere Ehre für jeden Angehörigen der antiken Religion.
Kaum ein anderes Massenritual führt uns heute so anschaulich die innere Verwandtschaft der griechischen und der „modern-westlichen“ Kultur vor Augen. Der Geist des Individualismus ist in der antiken Sportwelt bereits ebenso greifbar wie das Streben nach Geld und Ruhm. Nicht die Amerikaner haben uns den amerikanischen Traum beschert – es waren die Griechen. Absolute Leistungsbereitschaft („Yes, we can!“) galt schon damals als Voraussetzung (und Garant!) einer individuellen Erfolgsstory.
Der Geist von Olympia ist der Geist der Moderne. Der Zeitpunkt der Wiedergeburt der antiken „Spiele für alle“ ist auch ein Marker für das Menschenbild der Gegenwart. Nicht länger Spielball eines übermächtigen, Gehorsam fordernden Gottes, nicht länger Schachfigur der Aristokratie, Opfer seiner Geburt zu sein. Der Glaube, alles bewegen zu können, alles erreichen zu können ist moderner als das gesamte jüdisch-christliche Erbe zusammengenommen.
Und so sind sportliche Wettkämpfe – ob sie nun als Bühne für Faschisten, Sozialisten, Kapitalisten oder Autokraten missbraucht werden oder nicht – auch immer ein Garant für das, was Renaissance, Aufklärung und Säkularisierung nach 1400 Jahren Dunkelheit wieder möglich gemacht haben: den modernen Mensch und Erben der Antike. Olympia, das ist nicht nur Doping, Propaganda oder Postengeschachere, wie es mnachmal den Anschein haben mag. Olympia, das ist auch: 3000 Jahre Glaube an Eigenverantwortung und Chancengleichheit – und wenn nicht für alle, so doch für immer mehr.
Bilder: skeeze, ,