Um es vorweg zu nehmen: Ja, 2016 ist ein Jahr voller schlechter Nachrichten gewesen. Kriege, Katastrophen, Terror und Todesfälle – sie erzeugen in uns das Bild eines schauerlichen, ja außergewöhnlich niederschmetternden Jahres. Ohne lang recherchieren zu müssen, fallen uns all diese verstörenden Bilder wieder ein: Der Terror von Brüssel, Nizza und zuletzt auch Berlin, aber auch der blutiger denn je geführte Krieg in Syrien mit der ikonischen Schlacht um Aleppo. Dazu gesellt sich der polulären Lesart zufolge das „Jahr der Promi-Toten“ – von David Bowie und George Michael über Hans-Dietrich Genscher und König Bhumibol bis hin zu Muhammed Ali und Bud Spencer. Von den politischen Erdbeben wie dem Brexit und der Wahl Donald Trumps einmal ganz zu schweigen.
Ja, all diese Nachrichten haben im vergangenen Jahr dazu geführt, dass 2016 in der medialen Darstellung nicht gerade als ein Hort von Sicherheit, Zuversicht und Optimismus gefeiert wird. Allein: Wie realistisch ist diese historische Schwarzmalerei – und zeigt sie wirklich, wie 2016 historisch betrachtet verlaufen ist – oder erfüllt sie viel eher den Tatbestand der „self-fulfilling prophecy“? Ich möchte heute den Versuch wagen, die Subjektivität dieser Katastrophenstimmung durch einen Jahresrückblick vor Augen zu führen, der sich allein auf die positiven Highlights der vergangenen 12 Monate konzentriert. Denn 2016, das Jahr des Todes, könnte auch als Jahr der ausgleichenden Gerechtigkeit in die Geschichte eingehen.
Mit der Aufhebung der Sanktionen gegen den Iran wird erstmals seit der islamischen Revolution 1979 eine Annäherung zwischen dem Westen und dem ehemaligen Persien möglich. Das Massaker von Srebrenica wird nach 20 Jahren durch die Verurteilung von Radovan Karadžić vor dem UN-Kriegsverbrechertribunal zumindest symbolisch gesühnt. Der Völkermord an den Armeniern durch das Osmanische Reich wird 100 Jahre später unter Berücksichtigung der deutschen Mitwisserschaft durch den Deutschen Bundestag anerkannt. Und der kolumbianische Bürgerkrieg wird nach 50 Jahren durch einen Friedensvertrag der Regierung mit den FARC-Rebellen beendet. War 2016 demnach ein Jahr des Ausgleichs, der Anerkennung und der Aussöhnung?
Ja und nein. Dieser kleine Rundumschlag zeigt vor allem eins: Kein Jahr ist unisono unter ein bestimmtes Motto zu setzen. Weder „Jahr der Promi-Toten“ noch „Jahr des Terrors“ oder „Jahr der AfD“ können den vielfältigen Ereignissen einer Welt gerecht werden, die immer stärker miteinander vernetzt und zugleich politisch so gespalten ist. Was ist in diesem Fall mit den großen Triumphen während der olympischen Spiele in Rio oder den Siegen während der Fußball-Europameisterschaft? Und was mit dem ersten experimentellen Nachweis der lange postulierten Gravitationswellen? Charakterisieren sie 2016 wirklich weniger als das blutige Treiben ideologisch oder politisch Verirrter?
Mit dieser Relativierung möchte ich keine plumpe Aufrechnung oder gar Verharmlosung unserer gegenwärtigen Herausforderungen betreiben. Der Terror, von dem ich eingangs sprach, ist Fakt und muss entschieden bekämpft werden. Ob Waffen und Überwachung der effektivere Weg sind als Bildung und eine andere Außen- und Wirtschaftspolitik, sei dahingestellt. Klar ist auch: 85% der Terroranschläge weltweit hatten auch 2016 einen islamistischen Hindergrund. Diese Feststellung hat mit Rassismus nichts zu tun und erfordert daher ebenso gründliche wie nachhaltige Reaktionen von Seiten unserer Politik. Ob Abschottung gegen Flüchtlinge und Diskrimierung ihrer Glaubensbrüder den religiösen Fantikern wirklich schadet oder vielmehr in die Hände spielt, möchte ich an dieser Stelle nicht weiter ausführen. Fest steht: Wir werden gar nicht darum herumkommen, eine effektivere Eindämmung dieses spezifisch islamisch etikettierten Terrorismus zu finden, wenn wir nicht auch innenpolitisch an dessen Folgen zerbrechen wollen.
Vielleicht ist es an der Zeit, weniger über den echten und den falschen Islam zu sprechen und das, was das Abendland von diesen unterscheidet. Vielleicht ist es an der Zeit herauszufinden, was den Hass der Angreifenden erzeugt und wie ihm präventiv zu begegnen ist. Bevor sie Täter wurden, müssen einige Dinge in ihrem Leben richtig falsch gelaufen sein – und das betrifft all die Anis Amris ebenso wie die Abu Bakr al-Baghdadis dieser Welt. Mit religiösen Überzeugungen und theologischen Lehren hat das in der Regel wenig zu tun. Viel aber mit den sozialen und politischen Umständen, denen diese offenbar psychisch labilen Naturen über längeren Zeitraum ausgesetzt waren. Die gute Nachricht: Jene lassen sich im Gegensatz zu göttlichen Offenbarungen tatsächlich politisch steuern.
Zum Abschluss in guter Tradition noch ein paar Zahlen und Fakten, die das Jahr 2016 auf weit systematischere, vielleicht aber auch überraschendere Weise noch einmal Revue passieren lassen.
Die große Einwanderungswelle des Herbstes 2015 macht sich durch den Bearbeitungsstau der Asylanträge statistisch betrachtet erst 2016 voll bemerkbar. Und so geht eben das vergangene Jahr und nicht das Jahr der deutschen Willkommenskultur als Höhepunkt der Asylgesuche in die Annalen der Bundesrepublik ein:
Wie schon im Vorjahr ist das Bürgerkriegsland Syrien Heimatland der großen Mehrheit der Flüchtlinge. An die Stelle der Balkanländer ist 2016 Afghanistan getreten; neu dabei an der Spitze der Herkunftsländer ist der Iran mit rund 4% der Asylantragsteller – und das ausgerechnet im Jahr der Sanktionsaufhebung:
Obwohl das Gros der Flüchtlinge unbestreitbar aus islamischen Ländern stammt, gehört der Untergang des christlichen Abendlands in den Bereich der Mythen. Im vergangenen Jahr bekannten sich gerade mal 4% der Einwohner Deutschlands zum Islam – die wahre Konkurrenz der Kirchen sind die Konfessionslosen:
Wie finanziert sich unser Land eigentlich? Immer wieder ist von der „schwarzen Null“ die Rede und von noch nie geahnten Steuereinnahmen:
Kaum jemand ahnt, dass neben der klassischen Einkommenssteuer und Umsatz- und Gewerbesteuer eine ganze Vielzahl lukrativer Verbrauchersteuern eingezogen werden, die dem Staat zusammengerechnet in etwa dreimal so viel Einnahmen bescheren wie der sogenannte „Soli“:
Eine gute Nachricht – zumindest für die Verbraucher, also uns: Der sogenannte Verbraucherpreisindex, der die durchschnittliche prozentuale Preisänderung aller Waren und Dienstleistungen des privaten Bedarfs in Deutschland angibt, ist in den letzten Jahren deutlich langsamer gestiegen als noch vor 5 Jahren:
Keine gute Nachricht für Klimabewusste hierzulande: Dies macht sich nicht zuletzt in der Anschaffung von teuren Gütern wie Autos bemerkbar. Wer mehr Geld in der Tasche hat, investiert – zumal bei den anhaltend niedrigen Zinsen. Auch wenn das so gar nicht zur Umweltnation Deutschland passen will:
Was für teure Gebrauchsgegenstände gilt, gilt nicht unbedingt für echte Luxusgüter wie den edlen Schaumwein, wie ein Blick auf die entsprechende (seit dem Ersten Weltkrieg als Kriegsfinanzierungsmöglickeit erhobene) Steuer verrät – hier ist der Trend seit Jahren eher rückläufig:
Wo gehobelt wird, da fallen Späne, weiß nicht nur der Volksmund. Und so hält die Produktion von Müll mit dem gestiegenen Konsumverhalten durchaus Stand – leider ist es gerade der reguläre „Gemischtmüll“, der noch immer trotz Jahrzehnten der Abfalltrennung über die Hälfte des deutschen Hausmülls ausmacht:
Zu guter Letzt eine Statistik in eigener Sache: Die rasant steigenden Leserzahlen von seinsart haben uns im Jahr 2016 natürlich am meisten gefreut. Welche Themen aber haben Sie am häufigsten gelesen – welche Kategorie interessiert Sie offenbar am meisten?
In Themenhashtags ausgedrückt, bedeutet dies für Ihr Leseverhalten 2016:
Bild: Terminam os Jogos Olímpicos Rio 2016 (Titel); DonkeyHotey (Putin-Trump); Frank Schwichtenberg (EM 2016)
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Ich sage Dankeschön und Aufwiedersehen!
Ihr Nicolas Flessa