Dieses Wochenende hat sich eine alte Freundin bei mir gemeldet. Auch wenn wir (mal wieder) lange nichts voneinander gehört hatten (was sich selbstverständlich ändern ließe, aber in unserem Fall kein Problem darstellt, da wir uns noch immer viel zu erzählen haben), mache sie sich wenig Sorgen um mich; laut Instagram sehe mein Leben ja wirklich super aus! Ich musste schmunzeln; ohne mich beschweren zu wollen, waren in den letzten Wochen durchaus auch einige sehr harte Momente dabei – die meine Freundin natürlich nicht sehen kann. Denn dank meiner Verpflichtung zur Dokumentation von ausschließlich schönen Momenten gebe ich ihr wenig Gelegenheit dazu.

Was mich einerseits an meinen Artikel über die sozialen Netzwerke erinnert, zum anderen an einige Essays, die ich zu meiner Generation – „der Generation Y“ – gelesen habe. Dass wir eigentlich eine ziemlich unglückliche Generation sind. Während bei mir also eigentlich alles ganz okay war, gab (und gibt) es doch auch stets immer wieder etwas, an dem ich etwas auszusetzen hatte. Entspreche ich damit also genau dem Stereotyp meiner Generation?

 

Opfer der Erwartungen

Die These (mal recht frei aus mehreren Beiträgen zum Thema zusammengewoben): Wir sind die Opfer unserer Erwartungen, haben ein schlechtes Selbstbild und leiden unter potenziellen Möglichkeiten. Alles Schmarrn, würde ich dazu gerne sagen – aber warum erinnere ich mich dann so genau an diese Artikel, mal abgesehen davon, dass einige recht aktuell sind? Weil das alles leider recht plausibel klingt.

Die neuen Lebensbedingungen, die die Generation Y im Vergleich zu ihren Vorgängern hat, sind ja eigentlich optimal. Größtenteils lebt sie in einem recht freien, liberalen Umfeld, in welchem sie nicht von Kriegen, Hunger oder anderweitig schlimmen Bedrohungen betroffen sind. Sprich: Mit so einer guten Basis müsste theoretisch alles relativ einwandfrei funktionieren. Was unsere Eltern erreicht haben, sollte dank neuer Technologien und weltweiter Vernetzung ebenfalls erreicht werden, wenn nicht sogar mehr – und das bitte schneller. Doch nicht nur das: Heutzutage stehen Faktoren wie Life-Work-Balance, aufregende Reisen oder ein gestählter Körper neben der beruflichen Verwirklichung ebenfalls auf der To-Do-Liste. Und Selbstverwirklichung. Die Selbstverwirklichung darf man heute auf keinen Fall mehr vergessen!

Dumm nur, dass das alle anderen in unserem Alter auch denken – und wir somit wieder nur einer oder eine von vielen sind. Was vorher bereits als erfolgreich angesehen worden wäre, ist nun vielmehr diese „gute Basis“. Jetzt müssen wir alles erreichen, schlichtweg weil wir es können. Oder vielleicht besser: könnten. Denn einen sogenannten Breakout-Success können eben nicht alle auf einmal haben: Wenn dem so wäre, würde die Messlatte nur weiter steigen. Und die nächste Generation würde sich höhere Ziele setzen. Bei so viel auf der Agenda ist man leicht gelähmt vor lauter Möglichkeiten, die auszuschöpfen sind, oder Erwartungen, die es zu erfüllen gilt.

 

Das Glück der anderen

Hinterfragt werden sollten zuerst die Erwartungen, die mit den Eltern verknüpft sind. Während wir so viele Möglichkeiten in der heutigen Zeit sehen, übersehen wir eventuell die Möglichkeiten, die sich ihnen boten – und jetzt nicht mehr gegeben sind. Globaler Vernetzung stand ein regionaler, nationaler oder nur begrenzt internationaler Markt gegenüber, welcher weniger anfällig für Schwankungen und Krisen war. Oder vielleicht nur einfach die Bescheidenheit in der Zielsetzung? Hätte sich meine Mutter beispielsweise vorgenommen, so wie Madonna sein zu müssen (kein inhaltlicher Vergleich, sondern bezogen auf Einkommen und Bekanntheit), sie würde jetzt wohl recht deprimiert sein. Hat sie aber nicht. Daher gehört sie zu der Generation, in der statistisch 71 Prozent zufrieden sind mit ihrem Job – und ich zu der, in welcher es nur noch 63 Prozent sind.

Oder hätte sich mein Vater vorgenommen, sich neben seiner beruflichen Unabhängigkeit und der finanziellen Fürsorge für die Familie auch noch den Körper von Olympiaschwimmer Michael Phelps anzutrainieren – er hätte definitiv zeitliche Probleme bekommen, oder wäre stets schwer enttäuscht gewesen, nur die Hälfte seiner Pläne zu verwirklichen.

Was einen wieder zum digitalen Selbstbild bringt… Denn er musste sich auch nicht mit einer großen Fangemeinde oder einem digitalen Freundeskreis messen, welcher aktiv auf Facebook oder Instagram mehr oder weniger vorgibt, nicht weniger als 100% seiner Ziele zu erreichen. Durch die Selbstdarstellung der anderen, welche wir aus der Ferne oft nicht wirklich hinterfragen können, wächst der Druck: Der oder die andere kann es ja schließlich auch!

 

Das Vorbild, das die anderen anklicken, liken, imitieren

Bei genauem Nachdenken erkenne ich sowohl bei mir als auch bei vielen Bekannten und Freunden das Schema, sich bei Dritten immer das Beste als Vorbild herauszupicken… während alle anderen Eigenschaften schlichtweg ignoriert werden. Ein Freund hat sich in fünf Jahren von einem lebenden Marshmallow zu einem Superathleten entwickelt – hat aber einen absolut unerfüllenden Job. Egal – man sieht ja nur den Körper! Eine Verwandte arbeitet an atemberaubenden Projekten – die sie selbst niemals konsumieren würde, weil sie sie gar nicht interessieren. Ist aber egal, weil der Fokus auf den Projekten liegt. Ein anderer Bekannter hat eine tolle Beziehung zu seiner Freundin – aber keinen Kontakt zu seiner Familie. Auch egal, es zählt ja das Liebesleben. Und so weiter, und so fort.

Ist das Nicht-Erfüllen aller Optionen also vielleicht auch ein Grund dafür, dass die Generation Y  (angeblich) so ein schlechtes Bild von sich hat? Die Angst vor dem Scheitern, nicht selbst das Vorbild zu sein, welches die anderen anklicken, liken, imitieren? Wenn man die Studie allzu ernst nimmt, dann ist der Ratschlag eines Artikels, wir sollten endlich aufhören, uns als etwas Besonderes zu fühlen, nicht angebracht. In diesem Falle wären wir tatsächlich besonders – eine besonders bemitleidenswerte Generation. Genauso kann man das wohl nicht sagen, schließlich beinhaltet die Studie auch Fragen, welche jüngere Menschen aus Altersgründen weniger „zufriedenstellend“ beantworten, wie beispielsweise die nach dem Verantwortungsbewusstsein. Dies wächst mit dem Alter. Ob das für die Frage nach Empathie ebenso gilt, sei einmal dahingestellt.

Ich habe also einen Blick auf die Happy Moments der letzten Woche geworfen: großartige Abende, aber auch ein paar Verlegenheitsfotos. Man darf ja nicht aufgeben! Dann habe ich mich hingesetzt, und meiner Freundin geschrieben – viel und sehr ehrlich – und bekam auch prompt eine Antwort. Sie hat von der Work-Life-Balance geschrieben, aber das war in diesem Falle ganz gut so. Ohne verschobene Erwartungen, sondern vielmehr „selbstständig“, „fleißig“ und „mitfühlend“ war die E-Mail – also so ziemlich alles, wobei wir im Vergleich zur Generation unserer Eltern schlechter abschneiden. Da sehe ich also noch Hoffnung…

 

Bild: Unsplash

 

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Written by Alexander Frühbrodt

Alexander Frühbrodt arbeitete nach seinem Medienstudium für internationale Filmproduktionen. Der Marketingbeauftragte von seinsart schreibt als freier Autor über kulturelle und gesellschaftliche Themen.

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