Immer globaler, immer mobiler, immer digitaler. Die Digitalisierung verändert Wertschöpfung und Arbeitswelt dramatisch. Starre Arbeitsplatzkonzepte lösen sich ebenso auf wie strenge Hierarchien, fixe Arbeitszeiten und -orte. Mittels neuer Technologien und flexibler Arbeitsformen wird geleistet, wann und wo der Markt es erfordert, global und oft rund um die Uhr. Desk Sharing, Teamarbeit und die stärkere Flexibilisierung der Arbeitszeiten verändern deshalb zunehmend die klassische Bürowelt; die Organisationsflexibilität erhöht sich immer mehr. „Die Unternehmen müssen Rahmenbedingungen schaffen, die die Eigenverantwortung der Mitarbeiter stärken und sie so produktiv und kreativ wie möglich sein lassen“, sagt Coach Gloria Alvaro von der Organisationsberatung Leitwandel GbR in Wiesbaden.

Zu diesem Ergebnis kommen inzwischen auch einige wissenschaftliche Studien, wie z.B. die aktuelle Studie „Office 21 – Zukunft der Arbeit“ des Fraunhofer Instituts. Nach Auffassung der Forscher zeichnet sich moderne Wissensarbeit nicht nur durch den intensiven Einsatz moderner Informationstechnologie aus, sondern auch durch eine entsprechende Arbeitsinfrastruktur, die neben den individuellen Tätigkeit, auch die Teamarbeit und die Produktivität unterstützen müsse. Denn nur wer sich bei der Arbeit wohl fühlt, arbeitet effizient und bringt auch optimale Leistung. Das wusste auch schon Autofabrikant Henry Ford. Inzwischen teilen diesen Gedanken auch viele andere Konzerne und setzen zunehmend auf das emotionale Wohlbefinden ihres Personals.

Eigenverantwortung und Kreativität fördern

Kein Wunder also, dass nicht nur die weltweit bekannten Techkonzerne aus dem Silikon Valley zur allgemeinen Wohlfühloffensive aufrüsten, denn auch hierzulande gewinnt diese Haltung deutlich an Kontur und bekommt immer mehr strategische Bedeutung. Während einige Betriebe mehr auf den Spieltrieb der Mitarbeiter setzen und mit Tipis und bunten Karussells deren Kreativität fördern, setzen andere mehr Luxus und gestalten exklusive Wohnlandschaften. Großzügige Mulitspaces mit Chill-out-Ecken, bequemen Sofas und coolen Besprechungsräumen, die aussehen wie aus dem Designkatalog. Schließlich ist Bürodesign auch ein Teil der Markenbildung und deshalb ein wichtiges Asset, um sich von der Konkurrenz abzusetzen.

Gemein ist jedoch allen: das Privatleben wird mehr und mehr an den Arbeitsort verlagert. Denn einen entscheidenden Vorteil hat das Arbeiten in der Komfortzone für die Unternehmen: Keiner verlässt sie früher als nötig. Denn nicht nur die bekannten Internetriesen propagieren nämlich, „Du musst gar nicht mehr vom Arbeitsplatz weg, wir haben alles für Dich“, so die Arbeitspsychologin Prof. Dr. Anna Steidle, „den Friseur, den Wäscheservice, das Hotelzimmer, den Biogarten, das Fitnessstudio.“ Was gestern in Dave Eggers Besteller „ der Circle“ noch wie ein surrealer Albtraum klingt, wirkt heute seltsam harmlos. Es gibt viele Varianten. Aber wie sieht das Büro der Zukunft denn nun aus?

Produktivität durch Nichtstun

Der aktuelle Trend geht ganz klar zum non-territorialen Büro. Das sind Büroräume ohne einen fest zugewiesenen Arbeitsplatz. Ausgestattet mit einem persönlichen Rollcontainer (Tender) können die Mitarbeiter ihren Arbeitsplatz stattdessen, je nach Vorliebe und aktueller Projektanforderung, täglich oder aber auch stündlich neu auswählen. Unternehmen wie Otto oder Vodafone machen es schon vor. Der Mitarbeiter entscheidet selbst, wann und wo er arbeiten möchte. Statt des klassischen Schreibtischensembles mit PC, Bildern und Topfpflanze steht ihm eine Auswahl an multi-funktionalen Arbeitsflächen zur Verfügung: großzügige, offene Bereiche (Open Spaces) mit freien Schreibtischen, verglaste Konferenzräume, Think Tanks für das hoch konzentrierte Arbeiten oder die kleine Runde zum Brainstorming, aber auch ruhige Lounges, die der Entspannung, aber auch der projektübergreifenden Kommunikation dienen sollen.

„Die Mitarbeiter sollten die Freiheit haben, sich einen Ort zu suchen, der für ihre Arbeit im Moment gerade richtig ist. Das kann auch ein Spontanmeeting mit anderen Abteilungen in der Coffee-Bar sein; daraus entsteht Kreativität“, bestätigt Gloria Alvaro. Aber auch das Nichtstun ist erwünscht, denn es gilt im Büro von morgen als ein wesentlicher Teil des essenziellen Produktionsprozesses. Es geht dabei aber nicht um die gewöhnliche Zigarettenpause oder die Zeit, die gerne in den Social-Media Kanälen vertrödelt wird. Es geht um das entschlossene Ausruhen. Leere Zeiten, das absolute Nichtstun. Ein wesentlicher Produktionsfaktor.

Der Weg zum Schreibtisch wird zur Reise nach Jerusalem

„Außerdem gibt es auch Tätigkeiten, wo man etwas lesen oder auch nachdenken muss; auch dafür muss man Räume zur Verfügung zu stellen, so Alvaro. Das klingt erst mal gut. Allerdings kalkulieren die Unternehmen bewusst weniger Schreibtische ein als es Mitarbeiter gibt. „Wer zu spät kommt, spielt die Reise nach Jerusalem“, so Gloria Alvaro. Das führe auch im Büro zu einem Verhalten, dass viele auch aus dem Urlaub vom Hotelpool kennen; der tägliche Kampf um den besten Platz. „Der Mensch ist ein Gewohnheitstier und am Ende gruppieren sich doch immer wieder die gleichen Mitarbeiter am gleichen Ort.“

Die Frage, welche Perspektiven uns in den nächsten Jahren auf den Arbeitsmärkten erwarten, ist aktueller denn je. Wie werden sie sich entwickeln? Und ganz klar entsprechen neue Arbeitswelten nicht nur den zeitgemäßen Ansprüchen der Mitarbeiter an das Wo und Wann ihrer Arbeit, sondern ermöglicht Unternehmen eine effizientere und vereinfachte Organisation. Und jede Verbesserung in der Arbeitswelt sollte dazu führen, dass die Mitarbeiter leistungsfähiger werden. Bestenfalls ohne es zu merken. Allerdings sind Organisationen auch von Menschen gemacht und leben erst durch ihr Verhalten und ihre Kultur, aber auch ganz besonders durch den Umgang mit neuen Strukturen und Denkweisen.

Egal ob im Home Office, im Großraumbüro oder im Think Tank: Eigenverantwortlich und autonom zu arbeiten, bedeutet auch immer wieder neue Entscheidungen zu treffen. Das ist für viele neu und manch einer muss das erst noch lernen.

 

Bild: rawpixel

Written by Birgitta Wallmann

Birgitta Wallmann ist selbstständige Rechtsanwältin und Journalistin. Nach dem Studium der Rechtswissenschaften und Betriebswirschaftslehre in Mainz rief sie das Schreiben, weshalb sie sich bis 2014 an der Freien Journalistenschule Berlin ausbilden ließ.

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