Zum ersten Mal in zehn Jahren habe ich mein Fahrrad auf der Hälfte des Wegs angehalten und habe mich auf eine der Bänke am Ufer des Flusses gesetzt. Zum ersten Mal in zehn Jahren sehe ich den Joggern, die an mir vorbeiziehen, in die Augen, statt sie nur als Hindernisse auf meinem Weg in die Arbeit wahrzunehmen, die es zu umschiffen gilt. Zum ersten Mal seit zehn Jahren lächeln wir uns an, die bärtigen, leicht strubbeligen Männer, die die Bänke und den Kies von Abfall befreien, und ich.
Gestern Nacht habe ich erfahren, dass sich eine Freundin das Leben genommen hat. Eine Frau, die nicht nur bemerkenswert fröhlich, sondern auch bemerkenswert unglücklich war. Eine Frau, die ich jetzt gerne neben mir hätte, den rüstigen Kahn Anna Blume vor uns, gleich hinter den trägen Vorhängen der Trauerweide, die nur die Wellen zum Wehen bringen. Sie ist von einem Haus gesprungen, nachdem sie viele Stunden darauf gesessen ist. Niemand weiß, ob sie gezögert hat oder Zeit gebraucht, sich zu verabschieden. Auf der Liste derer, die man nach ihrem Tod benachrichten sollte, stand mein Name. Und eine falsche Telefonnummer.
Als ich meiner Freundin zum Geburtstag gratulierte, per SMS und nicht mit einem Anruf, organisierte ihre Familie bereits ihre Beerdigung. Ihre Mutter wollte sie auf keinen Fall an jenem Tag verabschieden, da sie ihr das Leben geschenkt hatte. Gestorben war sie zwei Wochen zuvor. Ihre Familie war zu ihr gekommen nach Berlin, um in diesen Stunden bei ihr zu sein. Und während ich zur Arbeit fuhr, so wie heute, erfuhren sie, dass die Maschine nur noch ihren Körper am Leben erhielt.
Meine Freundin, die strahlende, die lachende, die zärtliche, war mir bei meinem ersten Job begegnet, keine zwei Wochen nach meinem Auszug von zu Hause. Sie war 16 und ich war 19 und wir hatten wenig Ahnung, aber sehr viel Sehnsucht. Wir lachten den Ärger, den Stress, die wahnsinnigen Kollegen entzwei. Und verliebten uns in die Seele des anderen, die uns so fremd und so zu Hause war. Meine Freundin tröstete mich bei meinem ersten, schweren Trennungsschmerz, und was Jahre brauchte, um zu vernarben, nahm sie geduldig in ihre heilende Hand.
Meine Freundin, die wunderschöne, war allein. Sie war es immer, so lange ich sie kannte. Und während ich von einer Hoffnung in die nächste stolperte, bereiste sie die Welt und brach ihr die Herzen. No one I think is in my tree, it must be high or low. Diesen Sommer entschied sie sich, ihn zu verlassen und einfach nachzusehen. Ihr Herz, das so viel zu tragen hatte, hat diesen Sturz überlebt. Und weil es ihr Wunsch war, schlägt es noch heute. Dieses starke, schöne, große Herz, hat meine Freundin überlebt. Zum letzten Mal hat sie, die niemand halten konnte, ein Leben gerettet.
Bilder: Nicolas Flessa
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