Ich weiß nicht, wieso ich nie zufrieden bin. Ich denke ständig, dass ich alles haben will anstatt nur ein bisschen. Und dann schaue ich auf mich hinab, auf mein Leben als Ganzes mit mir im Gesamten und frage mich, was eigentlich „alles“ ist. Alles heißt, ich habe einen Job, den ich mag, ich kann essen, was ich will, weil ich das Geld dafür habe, ich habe einen Freund, der mich liebt und respektiert, ich sehe nicht schlecht aus und erfreue mich guter Gesundheit. Ich wohne in einer der spannendsten Städte der Welt und trotzdem sitze ich abends in meinem Zimmer und spüre eine brennende Leere, obwohl mir kalt ist.

Ich bin unausgeglichen, unausgeruht, unausgefüllt, ununterbrochen unterbrochen und ich könnte brechen, wenn ich realisere, dass ich vielleicht nicht glücklich sein kann. Ich habe ein Talent dafür, mich in Situationen zu manövrieren, in denen ich ganz bestimmt am unglücklichsten enden werde. Habe ich einen neuen Job, in dem ich respektiert und gut bezahlt werde, will ich ausbrechen und stelle mir ein Leben als Straßenmusiker vor, dabei kann ich nicht einmal ein Instrument spielen. Bin ich in einer Beziehung, so verliebe ich mich in meinen Chef, der nicht sonderlich von meiner Existenz begeistert ist oder in einen Schauspieler, der nicht einmal von meiner Existenz weiß. Ich umschiffe den Hafen der Zufriedenheit, immer darauf wartend, dass die nächste sicher „die perfekte Welle“ wird; dabei ist es gar nicht windig.

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Manchmal verliere ich mich in mir, um mich nicht in anderen Menschen zu verlieren. Manchmal laufe ich durch Berlin, wenn es schneit, denn ich hasse diese Scheißkälte in mir selbst. Manchmal weiß ich nicht, wann Orientierungslosigkeit anfängt oder aufhört, denn ich kann mich nicht orientieren. Mein Herz ist ein Heuhaufen ohne Nadel, der schonungslos von Leuten niedergebrannt wird, die ich trotz Fackel in der Hand und Feuer in den Augen an mich rangelassen habe. Ich will brennen anstatt atmen und wundere mich danach über all die Wunden und wie sie mir die Luft rauben. Ich spiele auf Zeit gegen mich selbst und drehe die Uhr zurück, um mir immer wieder zweite Chancen für Dinge zu geben, die man auch beim ersten Mal schaffen könnte.

Wer hat an der Uhr gedreht, ist es wirklich schon zu spät… um früh genug zu wissen, was ich sein will? Bin ich ich, wenn ich nicht weiß, mit wem ich sein will? Bin ich jemand durch die anderen oder nur durch mich, von Innen heraus? Will ich unglücklich sein oder weiß ich nur nicht, ab wann sich Glück nicht mehr wie Gleichgültigkeit und Winter in Berlin anfühlt? Vielleicht geht es niemandem so oder allen. Vielleicht ist die Schwärmerei von einem anderen Leben etwas, was in unserer Natur liegt und all die „Verwirkliche Dich selbst!“ Sprüche, die uns entgegengeschrien werden, sind keine Ermutigung, sondern ein Befehl – und wir haben Angst, weil wir gar nicht wissen, wie das geht und was die von uns wollen und was wir von uns zu wollen haben.

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Vielleicht rennen wir dem idealen Partner hinterher und dem idealen Job und dem idealen Selbst und merken bei all dem Rennen nicht, dass wir einfach nur mal stehenbleiben müssten. Vielleicht finden wir jemanden, den wir nicht hätten finden sollen. Vielleicht gehören unglückliche Lieben und glückliche Jobs und gutes Essen und schlechtes Gehalt zu all dem dazu, was uns zu uns macht und ausmacht. Vielleicht sind all die Dinge, die das Leben irgendwie erschweren und erleuchten, all die kleinen Fegefeuer und Winter in den Hauptstädten dieser Welt ja das, was man „alles“ nennt – und irgendwie auch Leben. Ich weiß nicht, wieso ich nie zufrieden bin. Aber vielleicht habe ich irgendwann „alles“ und werde merken, dass es trotzdem nicht reicht, solange ich nicht dazu bereit bin, einfach mal stehenzubleiben.

 

Bild: Unsplash

 

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Written by Tara Wittwer

Tara ist Wahlberlinerin, Wahlantidiäterin, mag Pizza und Ponies. Sie schreibt gerne zu lange Texte über zu tiefe Gefühle, behauptet aber felsenfest, Vorzeigemisanthrop zu sein. Deswegen schreibt sie sonst auch gerne auf ihrem Fäschnbloooog über Stil und Co.

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