Die Verbreitung des Internets hat eine Informationswelle ausgelöst, die höchstens mit dem Übergang von der polytheistischen zur monotheistischen Religion zu vergleichen ist – wenn auch im umgekehrten Wege. Galten früher staatliche Fernsehnachrichten und Zeitungen als einzige verlässliche Informationsquelle neben dem heimischen Stammtisch, hat sich in den vergangenen 15 Jahren gemeinsam mit einer Vielzahl privater Medien und Onlineportalen eine regelrechte Gegenöffentlichkeit manifestiert, deren erklärtes Ziel es ist, den als „Mainstream-Medien“ verschrienen alten Hasen lautstark die Stirn zu bieten.

Diese Auseinandersetzung, die ich mit dem Begriff „Kulturkampf“ bezeichnen möchte, ist spätestens mit den Montagsmahnwachen 2014, der PEGIDA-Bewegung 2015 und den Erfolgen der AfD an den bundesdeutschen Wahlurnen tief ins Bewusstsein der darin kritisierten Journalisten eingedrungen. Solange der Protest gegen Presse und Politik allein im Internet stattfand, sah man sich von Seiten der großen Zeitungen und Sender kaum genötigt, die teilweise tausendfach geteilten Meinungen und alternativen Theorien mit einem eigenen Kommentar – und sei es auch nur mit einer Richtigstellung – medienwirksam zu adeln.

Der altmodische Eintritt des virtuellen Gegners ins reale Leben aber, in den öffentlichen Raum von Straßen, Plätzen und Parlamenten, zwang sie mit Beginn dieses Jahres zu immer deutlicheren Stellungnahmen. Diese Konfrontation mit Nichtlesern und Nichtzuschauern war lange Zeit bewusst vermieden worden. Auch weil man ihr eben jene Folge prognostiziert hatte, die nun tatsächlich eingetreten ist: Die Bewegung der ehemals virtuellen Kritiker wächst, feiert Spitzenwerte in den Umfragen und macht deutlich, dass Hohn, Spott und Verachtung in einem demokratischen Staat keine wirksamen Mittel zur Bekämpfung von gegenteiligen Meinungen sind. Sie sind, im Gegenteil, der Dünger, der die Medienkritiker zum Wachsen bringt.

 

Das Zeitalter des Terrors ist das Zeitalter der Gegenöffentlichkeit

Wie konnte es zu dieser Situation kommen? Auslöser des gegenwärtigen Kulturkampfes bildet ausgerechnet jener „Kampf der Kulturen“, der spätestens seit 2001 zum Repertoire unserer gegenwärtigen politischen Welterklärung gehört. Gut gegen böse, liberal gegen fundamentalistisch, wir gegen die. In seinem Schlepptau: Die Kritik an der offiziellen Lesart politischer Ereignisse und Entscheidungen – von 9/11 über den Irakkrieg bis hin zur Vorratsdatenspeicherung.

An die Stelle der postulierten Gegnerschaft von „Christen gegen Muslime“, „Orient gegen Okzident“ sind unmerklich neue Fronten getreten – quer durch den eigenen Kulturkreis hindurch: „Besorgte Bürger“ versus „Antifaschisten“, „Lügenpresse“ versus „Verschwörungstheoretiker“. (An dieser Stelle sei mir eine Nebenbemerkung erlaubt: Galt der „Kampf der Kulturen“ zu Beginn der Auseinandersetzung mit den Mainstream Medien noch als ein Instrument der politischen Eliten zur Durchsetzung ihrer wirtschaftlichen Interessen im Nahen Osten, ist er im Rahmen von Bewegungen wie PEGIDA nun selbst zu einem Pfeiler der eigenen, ursprünglich regierungs-alternativen Erzählung geworden.) Dieser Kampf aber ist um vieles realer und gefährlicher für die bestehenden Verhältnisse als der allseits geleugnete, aber subversiv beworbene „Kampf der Kulturen“.

Der Begriff Kulturkampf ist historisch betrachtet eindeutig definiert – als Auseinandersetzungen zwischen dem Staat und der katholischen Kirche im 19. Jahrhundert in mehreren Staaten Europas. Im Kern ging es dabei um die Kollision des kirchlichen Anspruchs auf die Gültigkeit ihrer Normen und Wertmaßstäbe mit der Ordnung des neu entstandenen säkularen (Sozial)staats. Der heutige Kulturkampf bezieht sich auf die Kollision des politisch-medialen Anspruchs auf die Gültigkeit ihrer Deutungshoheit der Welt mit der neu entstandenen Gegenöffentlichkeit des Internets.

 

Verschwörungstheorien als Folge der Säkularisation

Wir haben es bei dem gegenwärtigen Konflikt gewissermaßen mit einer Weiterentwicklung der Säkularisation zu tun. An die Stelle der allseligmachenden Kirche trat Ende des 19. Jahrhunderts der allseligmachende Staat – mit den bekannten Verirrungen in der ersten Hälfte des folgenden Jahrhunderts. An die Stelle des allseligmachenden Staats trat – frühestens mit der autoritätsverachtenden Studenten-Bewegung, spätestens aber mit der Einführung des Internets – die allseligmachende Individualität. Parallel hierzu hatte sich die primäre Quelle des Wissens von kirchlichen über politisch-mediale Instanzen hin zur privaten Information via Internet verschoben.

Unser gegenwärtiger Kulturkampf, der sich auf den analogen Straßen der großen Städte und in den virtuellen Kommentarfunktionen der großen Medien Bahn bricht, kann weder durch Arroganz noch durch Ignoranz befriedet werden. Zum einen, weil er wie jeder Kampf weniger eine Frage von gut und böse denn eine Frage des eigenen Standpunkts ist. Zum anderen, weil er sich anschickt, Vertrauen zu zerstören, das für das Funktionieren einer Demokratie von wesentlicher Bedeutung ist. Wie soll sich eine Republik legitimieren, in der sich Volk und Volksvertreter als verfeindete Parteien skeptisch gegenüberstehen, die Presse als notwendiges Korrektiv der Politik in Verruf geraten ist? War der „Kampf der Kulturen“ noch dafür geeignet, Völker gegeneinander auszuspielen, geht dieser Kulturkampf ins Mark der eigenen Stabilität.

 

Kommunikation ist ergebnisoffener Dialog – nicht Mission

Das erste Opfer des Krieges, sagt man, sei immer die Wahrheit. Angesichts der angespannten Situation, die sich durch den (anlässlich der Flüchtlingskrise) wieder aufgewärmten „Kampf der Kulturen“ mit Sicherheit verschärfen wird, sollten wir uns daran machen, von der Ebene der gegenseitigen Beschimpfung auf die Ebene der Kommunikation zu wechseln. Kommunikation ist nicht die ungeduldige Mission der Gegenseite zur eigenen Meinung; Kommunikation ist das Praktizieren eines ergebnisoffenen Dialogs. Dafür müssen beide Seiten bereit sein, die Argumente des anderen wirklich ernst zu nehmen, transparent zu diskutieren und gemeinsam zu einer Lösung, zumindest aber zu einer respektvollen Haltung zu kommen.

Solange die Presse des freien Westens ihre Meinungsfreiheit nicht vollumfänglich nutzt, um die Ereignisse und Herausforderungen der Gegenwart so komplex und vielschichtig abzubilden, wie sie nun einmal sind, und stattdessen den Eindruck einer gelenkten, erzieherischen und einseitigen Informationsmaschine erweckt, wird die Kritik der alternativen Medien nicht verstummen – mit all ihren Blüten und Gefahren. Solange unsere Politiker ihre Aufgabe nicht ernst nehmen, frei von militärischen Bündnissen, Lobbyisten und Thinktanks ethische und nachhaltige Lösungen für drängende Grundsatzfragen zu entwickeln, und stattdessen den Eindruck einer wirtschaftsgläubigen Realpolitik erwecken, die unabhängig von der Meinung ihrer Wähler durchzusetzen ist, wird die Kritik der Populisten nicht verstummen – mit all ihren Blüten und Gefahren.

Hab acht, Europa! Höre die Zeichen der Zeit und verschenke Deine Freiheit nicht. Weder an jene, die sie offen bekämpfen, noch an jene, die sie für ein Wachstumshindernis oder ein Sicherheitsrisiko halten. Der Kampf der Kulturen wird zu Ende sein, bevor er überhaupt begonnen hat. Dein Kulturkampf aber gewinnt gerade erst an Fahrt; die Schwerter der Verschwörungstheoretiker sind gewetzt, die Gräben der Lügenpresse ausgehoben.

 

Bild: Medianandrang

Written by Nicolas Flessa

Nicolas Flessa studierte Ägyptologe und Religionswissenschaft. Der Chefredakteur von seinsart drehte Spiel- und Dokumentarfilme und arbeitet heute als freischaffender Autor und Journalist in Berlin.

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