Kürzlich habe ich gelesen: „Die stille Zeit ist vorbei, jetzt wird’s auch wieder etwas ruhiger.“ Von wegen – jetzt geht der Stress erst richtig los. Nur noch so wenige Tage, um Silvester zu planen und sich gute Vorsätze für das nächste Jahr zu überlegen. Einer meiner letzten war ja schließlich, dass der 31. Dezember 2015 etwas Besonderes werden solle; nicht so verkorkst und planlos wie der von 2014. Oder 2013. Oder…. Aber von vorne.

Gerade eben ist Weihnachten überstanden. Nüchtern betrachtet war es in meinem Umfeld eine 50/50 Erfahrung. Für 50% war es das schlimmste Fest des Jahres: Auch geringe Erwartungen wurden bei der Zusammenkunft der Familie, die man so geflissentlich zwölf Monate im Jahr gemieden hatte, untertroffen – wenn denn alle kamen. Von unterschwelligen Vorwürfen bis zu direktem Streit, von enttäuschenden Geschenken bis zu ungenießbarem Essen waren schon einige Überraschungen dabei – nur nicht die, die man sich gewünscht hatte. Die anderen 50% hatten genau das Weihnachten, das sie schon immer hatten: Friedlich, harmonisch – eigentlich so, wie es ursprünglich angedacht war.

Am Ende brauchen trotzdem alle Erholung von der stillen Zeit. Sei es, weil sie emotional in die Hölle gingen, oder weil sie sich maßlos der Völlerei hingegeben haben. Doch diese wird niemandem gewährt. Silvester naht, und mit ihm das nächste vermeintlich großartige Event, welches ein Tor zum vermeintlich besseren nächsten Jahr aufstößt. Zwei Male vermeintlich in einem Satz lassen schon darauf schließen – weder das Eine, noch das Andere wird vermutlich geschehen.

Zuerst gibt es die Hürde zu bewältigen, tatsächlich feste Bestätigungen für die Silvesterplanung zu bekommen. Da die zu beschließende Aktion jedoch meist noch nicht festgelegt ist, gleicht die Mühe der eines Hundes, der seinen eigenen Schwanz zu fangen versucht.  Gibt es noch keinen Plan, so möchte sich niemand festlegen: Es könnte ja noch was Besseres kommen. Hat man eine Gruppe, so kann sie sich nicht einigen. Ein großes Problem ist auch der Kostenfaktor, der jedes Jahr wichtiger wird: Ob Theatervorstellungen, Restaurantbesuche oder kultige Clubbesuche; es ist gefühlt alles unbezahlbar. Vorausgesetzt natürlich, man bekommt einen Platz und landet nicht auf der Warteliste. Dass gute Planung jedoch wünschenswert ist, weiß jeder, der einmal Mitternacht von einem Ort zum anderen rennend erlebt hat.

 

Häufigste Vorsätze für das neue Jahr

Sollten die Besetzungs- und die Locationfrage tatsächlich geklärt werden, hilft nur noch Bangen und Hoffen, dass es auch wirklich schön wird: Einige Leute beginnen doch tatsächlich noch Silvester mit ihren Vorsätzen! Intime Geständnisse unter erhöhtem Alkoholeinfluss sind jedoch nicht immer der beste Stimmungsmacher für jede Party.

Womit wir bei dem wirklich gefährlichen Punkt angekommen wären: den Vorsätzen. Der Beginn des neuen Jahres birgt automatisch die Hoffnung auf Verbesserung, so der romantische Ansatz. Er ist aber auch eine Gelegenheit, sich die Verfehlungen des vergehenden Jahres schmerzlos einzugestehen und so positiv zu servieren.

Auf der Webseite der DAK-Gesundheit kann man die zehn häufigsten Vorsätze der vergangenen Jahre einsehen:

Gute Vorsätze für 2016Gute Vorsätze für 2015Gute Vorsätze für 2014
1. Stress vermeiden/abbauen
(62 Prozent)
1. Stress vermeiden/abbauen
(60 Prozent)
1. Stress vermeiden/abbauen (57 Prozent)
2. Mehr Zeit Familie/Freunde (61 Prozent)2. Mehr Zeit Familie/Freunde
(55 Prozent)
2. Mehr Zeit Familie/Freunde
(54 Prozent)
3. Mehr bewegen/Sport
(59 Prozent)
3. Mehr bewegen/Sport
(55 Prozent)
3. Mehr bewegen/Sport
(52 Prozent)
4. Mehr Zeit für sich selbst
(51 Prozent)
4. Mehr Zeit für sich selbst
(48 Prozent)
4. Mehr Zeit für sich selbst
(47 Prozent)
5. Gesünder ernähren
(51 Prozent)
5. Gesünder ernähren
(48 Prozent)
5. Gesünder ernähren
(47 Prozent)
6. Abnehmen
(35 Prozent)
6. Abnehmen
(34 Prozent)
6. Abnehmen
(31 Prozent)
7. Sparsamer sein
(31 Prozent)
7. Sparsamer sein
(28 Prozent)
7. Sparsamer sein
(26 Prozent)
8. Weniger fernsehen
(18 Prozent)
8. Weniger fernsehen
(15 Prozent)
8. Weniger fernsehen
(16 Prozent)
9. Weniger Handy & Internet
(16 Prozent)
9. Weniger Handy & Internet (15 Prozent)——-
10. Weniger Alkohol
(14 Prozent)
10. Weniger Alkohol
(12 Prozent)
9. Weniger Alkohol
(12 Prozent)
11. Rauchen aufgeben
(10 Prozent)
11. Rauchen aufgeben
(9 Prozent)
10. Rauchen aufgeben
(11 Prozent)

Wir lernen: Es sind immer dieselben. Wenn sich irgendwer an seine Vorsätze gehalten hätte, müsste die Liste ja eigentlich ein wenig variieren. Tut nur scheinbar keiner.

Die Bild-Zeitung hat in einem zugegebenermaßen nicht ganz ernsthaften Beitrag 10 gute Vorsätze zusammengefasst, die wir eh sofort brechen – und ruft mit einem „Fallen Ihnen noch weitere gute Vorsätze ein, die einfach nicht einzuhalten sind?” netterweise gleich dazu auf, die Liste zu erweitern:

  1. Ab jetzt bin ich Nichtraucher!
  2. Das Handy mache ich abends aus!
  3. TV und Smartphone? Ich lese wieder mehr auf Papier!
  4. Ich werde Veganer!
  5. Ich mache mehr Sport!
  6. Ich werde meine Freundschaften besser pflegen!
  7. Ich verbanne Schokolade aus dem Haushalt!
  8. 2016 wird mein Reise-Jahr!
  9. Ich trenne mich von Zeug, das ich eh nicht mehr brauche!
  10. Ich werde Wasser sparen!

Vermutlich unbewusst treffen die Kollegen der BILD damit den Nagel direkt auf den Kopf: Sie zeigen ein paradoxes Muster, welches sich bereits fest etabliert hat:

1. Mache Dir gute Vorsätze für das nächste Jahr
2. Wenn es nicht klappt, egal: Sie sind eh nicht haltbar
3. Die Umfrageergebnisse decken diese Erkenntnis dann mit Zahlen ab.

 

Was Du heute kannst besorgen…

Was nur scheinbar niemand bei den ehrenwerten Plänen erkennen will: Sie sind theoretisch auch gar nicht an den 1. Januar gebunden. Womit man am 1.1. nicht anfängt, damit kann man auch am 2.1. noch beginnen. Dies soll keine Legitimierung der Aufschiebetaktik sein, sondern vielmehr ein Konter zum Glauben, man habe wieder ein ganzes Jahr Zeit, sich erneut mit seinen eigentlichen Zielen zu befassen.

Ein gutes Beispiel ist der häufig geäußerte Wunsch, mit dem Rauchen aufzuhören. Stark entschlossene Leute schaffen dies tatsächlich von einem Tag auf den anderen – aber wie oft fällt dieser auf den Neujahrstag? Mit den anderen Toppunkten (wie „Mehr Sport machen“ oder „Sich gesünder ernähren“, „Weniger Stress zulassen“ oder „Mehr sparen“) ist das Prinzip dasselbe: Es handelt sich hier eher um langwierige Prozesse, die die Umstellung von alten Gewohnheiten und (in gewissem Maße) eine Veränderung der Lebensführung bedeuten. All dies muss jedoch ebenso wenig zu einem gewissen Zeitpunkt begonnen werden.

Wenn wir an Neujahrsvorsätze denken, sollten wir deren heilende Wirkung auf Veränderung und Verbesserung nicht mit nur einem Startdatum verbinden und uns so limitieren. Es gibt schließlich 365 potenziell lebensverbessernde Tage im Jahr.

Was nach zuckersüßer Theorie aus einem Motivationsratgeber klingt, ist dabei nicht einmal so gemeint. Seien wir ehrlich, nicht jeder Tag öffnet neue Türen. Es geht hierbei mehr um den Gedanken, dass wir nicht wissen, welcher Tag letztendlich eine öffnet. Nur sollte man sich selbst vor Augen halten, dass der Auto-Termindruck daher schlichtweg nicht nötig ist. Somit wird a) Frust, b) der „ist eh nicht einhaltbar“ Denkweise und somit c) Resignation entgegengewirkt. Klappt es nicht gleich im Januar, wird es eben Februar – man muss nur dranbleiben.

Oder noch besser: Man sollte die gewünschte positive Veränderung als einen ganzjährigen Prozess  erkennen, der die erhoffte Befriedigung verschafft. Tatsächlich sind viele dieser Ziele auch schlecht messbar ab einem gewissen Punkt erfüllt.

 

Also alles Quatsch mit den Vorsätzen?

Nun, das auch nicht: Immerhin hat man nun einen gewissen Anreiz, gleich und sofort mit seinem Projekt Nichtraucher / vegan leben / relaxter werden etc. anzufangen. Es ist allerdings sinnvoll, in einem Tempo zu beginnen, welches über das komplette Jahr hindurch durchgehalten werden kann. Wer sein Ziel erfüllt, aber danach rückfällig wird, der ist ja schließlich auch nicht glücklicher. Lieber langsam aber sicher seinen Weg gehen – und wenn man dies nicht alleine tun muss, umso besser. Schließlich ist man nie komplett unbeeinflusst und daraus kann man zusätzliche Kraft ziehen. Vermeiden Sie doch etwas Stress im nächsten Jahr und fragen Sie einmal, ob Ihre Freunde nicht auch den Zigaretten abschwören wollen; ob Ihr Partner oder WG-Genosse nicht auch gesünder essen will; ob Sie nicht vielleicht jemand zum Sport begleiten möchte. Es ist immer schwerer zu kapitulieren, wenn der oder die andere noch durchhalten könnte.

Jetzt müssen Sie sich also nur noch überlegen, was auf Ihrer To-Do-Liste für 2016 stehen sollte: Es sind ja noch vier Tage bis zum 31sten. Dieses Jahr steht zumindest schon mal meine Silvesterplanung. Ort und Teilnehmer sind bestätigt, fehlt nur noch das Menü, die genauen Aktivitäten und wohin es zur After-Party geht. Was für ein Stress…

 

Bild: Unsplash

 

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Written by Alexander Frühbrodt

Alexander Frühbrodt arbeitete nach seinem Medienstudium für internationale Filmproduktionen. Der Marketingbeauftragte von seinsart schreibt als freier Autor über kulturelle und gesellschaftliche Themen.

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